Auf dem Weg zur schönen Stadt – Editorial

Uwe Altrock, Sandra Huning

 

Lange ist es her: Es war im Jahr 2014, als wir als Herausgeber der Planungsrundschau beschlossen, einen Band zum Thema „Schönheit von Städten“ zu konzipieren, und einen dazu passenden Call veröffentlichten. Einige Monate später wurde das Thema völlig unabhängig von uns durch die Kölner Erklärung, die Erklärung 100% Stadt, die Aachener Polemik und nicht zuletzt auch die Feuilletons überregionaler Zeitungen aufgegriffen. Dadurch entstand eine heiße Debatte darüber, ob Stadtplaner*innen heute noch willens und in der Lage seien, der Schönheit von Städten in ihrem Wirken eine angemessene Aufmerksamkeit zu schenken. Insbesondere die Ausbildung der Stadtplaner*innen geriet in die Kritik. Zusätzlich angestachelt durch diese Debatte und auch ein wenig verwundert angesichts einer gelegentlich ziemlich undifferenzierten Generalkritik an der Stadt- und Raumplanung warfen wir sodann ganz grundsätzliche Fragen auf: Was könnte eigentlich eine schöne Stadt sein, und wie haben sich Vorstellungen davon im Laufe der Jahrzehnte – und vielleicht auch Jahrhunderte – verändert? Welche theoretischen und praktischen Positionen werden in der Fachdebatte vertreten, und von wem? Und nicht zuletzt: Wie lässt sich eine schöne Stadt im Spannungsfeld unterschiedlicher Schönheitsvorstellungen von Laien und Fachleuten, unterschiedlicher Interessen und Akteurskonstellationen heute planen und bauen?

Die große Resonanz auf den Call hat uns überrascht. Wir erhielten viele spannende Beitragsangebote aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, die die „schöne Stadt“ aus ihren spezifischen Blickwinkeln heraus beleuchteten, so dass wir uns schließlich entschieden, zwei Bände zum Thema herauszubringen. Im ersten Band (2017) standen Begriffe und Debatten, Theorie und Praxis in Städtebau und Architektur im Mittelpunkt. Sowohl Stadtforscher*innen als auch von uns eingeladene Praktiker*innen präsentieren ihre Perspektiven und konkrete Beispiele, mit deren Hilfe sich aus ihrer Sicht die schöne Stadt beschreiben und erfahren lässt. In dem nun vorliegenden Band wollen wir stärker den ganz praktischen Fragen nachgehen, die den Blick darauf richten, wie sich denn nun eine schöne Stadt entwickeln lässt. Auch in dieser Aufgabe kommen Praktiker*innen zu Wort, die als Architekt*innen, Investor*innen oder aus Sicht der Verwaltung in verantwortlicher Position an der Produktion von Stadt beteiligt sind und uns in Interviews an ihren Strategien sowie an den Herausforderungen teilhaben lassen, mit denen sie es in ihrem Alltag zu tun haben. In Kombination mit den wissenschaftlichen Auseinandersetzungen in diesem Band ergibt sich ein vielschichtiges Bild, in dem sich dennoch einige gemeinsame Themen für die Produktion einer „schönen Stadt“ als besonders relevant herauskristallisieren.

Schönheit und das „Auge des Betrachters“

Ein zentrales Thema ist zweifellos die Verständigung von Expert*innen und Nicht-Fachleuten darüber, was eine schöne Stadt eigentlich ist und welchen Stellenwert sie haben sollte. Es geht unter anderem um unterschiedliche Referenzsysteme – wie komme ich als Laie oder Fachfrau eigentlich zu meiner Bewertung dessen, was ich schön finde oder wie ich gestalterische Qualität bewerte – und um verschiedene – nicht zuletzt materielle – Interessen bei der Produktion von Stadt. Der Spaziergangswissenschaftler Lucius Burckhardt stellte bereits im Jahr 1979 die Bedeutung von Referenzsystemen bei der Bewertung einer „schönen Landschaft“ heraus, als er argumentierte, dass alle Menschen bei der Betrachtung eines Ortes abprüfen, inwieweit die eigenen Vorstellungen über einen „lieblichen Ort“ mit der vorgefundenen Realität übereinstimmen, und dann ein Urteil darüber fällen, ob es dort schön ist oder nicht. Nach Burckhardt werden diese Vorstellungen erlernt, so dass es gleichzeitig zu Unterschieden, aber eben auch zu Übereinstimmungen zwischen Menschen kommt. Demnach hat einerseits „jeder Mensch andere Voraussetzungen, also auch andere Selektionsmechanismen“ (Burckhardt 2006:35) bei der Wahrnehmung und Bewertung von Landschaftseindrücken, die durch Kindheitserfahrungen und Sozialisation, Bilder oder Bücher geprägt würden. Andererseits lässt sich jedoch immer wieder beobachten, dass viele Menschen sich einig sind über die Schönheit von Orten, „dass also dieser individuellen Verschiedenheit eine kollektive Einheit übergeordnet sein muss, die wir als die ‚Kultur’ bezeichnen. Diese Kultur wäre also so etwas wie das kollektive Gedächtnis dessen, was wir als liebliche Orte bezeichnen“ (ebd.:35). Transportiert werden diese kollektiv geteilten Vorstellungen lieblicher Orte, so Burckhardt, z.B. über die schönen Künste, Gemälde und Literatur, z. T. auch über Musik.

Übertragen auf die Schönheit von Städten, ließe sich die Baukulturbewegung möglicherweise als ein Versuch interpretieren, ein solches kollektives Gedächtnis dessen, was schöne Städte ausmacht, zu (re-) aktivieren, das in den vergangenen Jahren ein Stück weit erschüttert worden, vielleicht sogar gesplittert ist. Zwar stehen Gründerzeitbauten und Versuche, diese für den heutigen Städtebau zu aktualisieren, allgemein hoch im Kurs, und auch das Bauhaus erfreut sich 100 Jahre nach seiner Gründung einer zunehmenden (fach-) öffentlichen Beliebtheit. Bei Einfamilienhaussiedlungen am Stadtrand, dem Brutalismus der 1950er Jahre, aber auch neuen Bürohausfassaden aus Glas und Beton scheiden sich hingegen die Geister. Vielerorts begegnet man bei Stadtnutzer*innen dem Wunsch nach Traditionalismus und einem großen Unverständnis gegenüber einer als „kalt“ und „abweisend“ empfundenen zeitgenössischen Architektur, während Stadtgestalter*innen versuchen, neue ästhetische Qualitäten zu definieren und mit den zahllosen technischen, funktionalen, ökonomischen, sozialen und ökologischen Anforderungen sowie den unterschiedlichen Interessen in der Stadt in Einklang zu bringen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welches die Referenzsysteme bei der Bewertung städtebaulicher Qualität – oder sogar Schönheit – für unterschiedliche Beteiligte sind. Bei Fachleuten liegt es zumindest ein Stück weit auf der Hand: Sie werden qua Ausbildung in ein professionelles Umfeld hinein sozialisiert, das Kriterien für die Bewertung der Qualität von (schöner) Stadt anbietet. Diese Kriterien sind nicht stabil, sondern im Fluss, und sie sind nicht einheitlich, sondern können sich in verschiedenen „Schulen“ stark voneinander unterscheiden. Zudem unterliegen sie Moden und können individuell angeeignet oder abgelehnt werden, was im Einzelfall auch viel mit der eigenen Verortung in der Fach-Community, mit dem Ringen um Anerkennung und dem Wunsch nach Abgrenzung und individueller Erkennbarkeit zu tun haben kann. Ein professioneller „Habitus“ entsteht, wie Pierre Bourdieu gezeigt hat, in Auseinandersetzung mit der (Fach-) Welt: „dass man versucht dahinter zu kommen, wie es funktioniert, welche Positionen wichtig sind, welche weniger, welche expliziten und impliziten Regeln gelten, welche Regeln strikt einzuhalten, welche von wem missachtet werden dürfen und so weiter“ (Krais/Gebauer 2002:62). Der in diesem Sinne „legitime Geschmack“, der sich so herausbildet, in Fachzeitschriften präsentiert wird und sich vom „populären Geschmack“ ein Stück weit abgrenzt oder sogar abgrenzen muss, basiert damit auf einem Diskurs, der der Mehrheit der Stadtnutzer*innen, die keine solche Ausbildung durchlaufen hat, nicht zugänglich ist, und auf einem Wissen, das für viele von ihnen daher nicht nachvollziehbar ist. Eine nicht zu unterschätzende Rolle dürfte dabei auch ein implizites Lernen über Gewöhnung spielen: Ein regelmäßiges Studium von Fachzeitschriften etwa erweitert den Horizont dessen, was man überhaupt kennt, was man als neu und innovativ betrachtet, was als Abklatsch früherer Ideen wahrgenommen wird, was provoziert oder was dagegen „geht“, weil man es als inzwischen gängig betrachtet. Dies funktioniert bis zu einem gewissen Grad unterbewusst, also ohne eine intentionale Suche danach, was die Mehrheit gerade gut findet – um selber mitreden zu können, auf dem Laufenden zu sein o. Ä.

Die Referenzsysteme von Nicht-Fachleuten sind hingegen vor allem die eigene Alltagswelt, Eindrücke aus Urlaubsreisen und Informationen aus den Medien, die über spektakuläre Bauten wie die Elbphilharmonie berichten und diese für die Öffentlichkeit erschließen, erklären und wiedererkennbar machen. Hier findet sich eher ein „populärer“ Geschmack, um bei Bourdieu zu bleiben, der wiederum keineswegs einheitlich ist, sich aber tendenziell eher an dem orientiert, was man kennt, als an besonders innovativen oder gar waghalsigen Entwürfen der städtebaulichen Avantgarde. So kann es sein, dass ein Gebäude in der Fachwelt preisgekrönt, in der breiteren Öffentlichkeit aber abgelehnt wird. Umgekehrt wird die kritische Perspektive auf den Historismus dort nicht unbedingt geteilt und Stadt schön gefunden, obwohl die wertgeschätzte Patina nicht authentisch, sondern nur durch „Hinkleben“ entstanden ist.

Eine vorläufige Schlussfolgerung könnte sein anzuerkennen, dass es unterschiedliche Referenzsysteme gibt und dies zwangsläufig immer so sein wird. Schließlich geht es in Architektur und Stadtplanung nicht darum, den Status Quo fortzuführen, sondern neue Lösungen für aktuelle städtebauliche Herausforderungen und Probleme zu finden und dabei auch die Formsprache kontinuierlich weiterzuentwickeln. Diese Disziplinen werden also immer ein Stück weit „vorausgehen“, neue Ideen entwickeln und damit zeitgenössische Gewohnheiten und ästhetische Wahrnehmungen ins Wanken bringen. Gleichzeitig wäre es überheblich und sicherlich unrealistisch anzunehmen, dass die Stadtnutzer*innen dem Fachgeschmack schon folgen werden, wenn man sie nur hinreichend weiterbildet und informiert. Das Bedürfnis nach Vertrautheit, nach funktionalen und aneignungsfähigen Räumen ist legitim; es zu übergehen, wäre der Entwicklung einer kollektiven Baukultur, in der respektvoll um Gestaltung gerungen und wenn schon keine Liebe, dann doch immerhin Verständnis füreinander erzeugt wird, sicherlich nicht zuträglich.

Damit eng verknüpft ist auch die Frage nach dem Stellenwert, den Schönheit überhaupt für Stadtnutzer*innen hat. Vielleicht reicht es ihnen ja, an schöne Orte in den Urlaub zu fahren und im Alltag vor allem Räume vorzufinden, die funktional sind und von ihnen angeeignet werden können? Oder macht für die Mehrheit von ihnen die Funktionalität und die Aneignungsfähigkeit sogar die Schönheit von Räumen aus?

Schönheit und städtebauliche Qualität

Denn die Qualität von Räumen liegt ja nicht nur im Auge des Betrachters, sondern durchaus auch im Verhältnis, das die Nutzer*innen zu ihnen aufbauen können, wenn sie z. B. eine bestimmte Funktionalität erleben, die ihren Alltag erleichtert oder ihnen eine neue Perspektive darauf ermöglicht. Insofern scheint Monotonie (oder der Verdacht darauf) sowohl in ästhetischer als auch in funktionaler Hinsicht ein wichtiger Faktor dafür zu sein, dass Menschen Räume eher nicht als schön empfinden. Im Gegenteil: Kleinteiligkeit, Mischung und auch gelegentliche Brüche von Strukturen scheinen Menschen viel mehr anzusprechen als überstrukturierte Quartiere, die nach einheitlichen Regeln gebaut werden. Es geht darum, das Gegenteil von Anonymität zu erreichen und Aneignungsmöglichkeiten zu schaffen, so dass Menschen städtische Räume nicht nur nutzen, sondern auch ihren Bedürfnissen entsprechend überformen dürfen.

Wie unsere Interviews zeigen, muss dieser Anspruch nicht notwendigerweise aufgegeben werden, sobald Investoren ins Spiel kommen, auch wenn dies ein gängiges Vorurteil ist. Vielmehr zeigen Beispiele, dass auch Investorenarchitektur einen Beitrag zu einer schönen Stadt leisten kann, wenn sich alle Beteiligten dieses Anspruchs bewusst sind und ein Interesse daran haben, ihn durchzusetzen. Schwierig erweist sich dies bei solchen Investoren, die keinen spezifischen Bezug zum Ort haben, sondern alleine im Sinne ihrer Auftraggeber (z. B. Pensionskassen) auf Gewinn und langfristige Rendite orientiert sind. In Sorge um die Investitionskosten einerseits und eine langfristige und stabile Vermietbarkeit andererseits werden selten Experimente gewagt, und die Frage, inwieweit ein Projekt einen Beitrag zur Stadt als Gemeinwesen leistet, drängt sich für sie nicht gerade auf. Hier spielen Politik und Verwaltung wiederum eine zentrale Rolle, indem sie die Voraussetzungen dafür schaffen, dass lokale Potenziale in Wert gesetzt, Erdgeschosszonen und Freiräume geöffnet und ein Mehrwert für die Öffentlichkeit geschaffen werden. Und dies betrifft nicht nur von außen kommende Investoren, sondern auch lokale Eigentümer, die ihre Bestände im Sinne eines schönen Stadtbilds erhalten und pflegen sollen, wie das in einem Interview ausführlicher behandelte Beispiel Wolfhagen zeigt. Auch hier gilt es, gemeinsam zu schauen, worauf es allen Beteiligten wirklich ankommt, und nach Kompromissen zu suchen, die sich nicht nur an ästhetischen Idealen, sondern auch an den finanziellen Möglichkeiten der Betroffenen orientieren.

Instrumente für die Produktion der schönen Stadt

Eine „schöne“ Stadt lässt sich nicht durch formale Instrumente herstellen. Man kann sich die Frage stellen, wie weitgehend angesichts der Vielschichtigkeit von Stadtentwicklungsprozessen überhaupt gestalterische Qualität beeinflussbar ist, was dazu eine konsequente Steuerung und Begleitung von Einzelvorhaben beitragen kann und inwiefern für eine abgestimmte gestalterische Gesamtwirkung von Stadtquartieren darüber hinausreichende wirkungsvolle Steuerungsinstrumente zur Verfügung stehen. In diesem Zusammenhang wird häufig darauf hingewiesen, dass eine Definition von städtebaulichen Kubaturen über das Bauplanungsrecht nur sehr eingeschränkt Wirkung erzielen kann.

Doch direkt an gestalterischen Themen ansetzende Instrumente weisen ihrerseits deutliche Grenzen auf. Selbst wenn man ihnen zutraut – was längst nicht uneingeschränkt der Fall ist -, dass sie eine sinnfällige Vorstellung von städtebaulich-gestalterischer Qualität anstreben, sind sie teilweise nur in besonderen Fällen einsetzbar und normieren städtebaulich-gestalterische Qualität auf eine Weise, die kreativen Gestaltungsprozessen im Einzelfall zuwiderlaufen (wie etwa Gestaltungssatzungen). Verständigt man sich darauf, dass eine besondere Würdigung von bedeutenden Einzelfällen gestalterischer Interventionen in den Stadtraum erforderlich ist, die sich nicht durch abstrakte Regelwerke vorwegnehmen und standardisieren lässt, dann kommen diskursive Instrumente ins Spiel. Auch ihnen wohnen rein kapazitäre und darüber hinaus inhaltliche Begrenzungen inne.

Ein häufig genanntes Instrument für die Umsetzung der schönen Stadt sind in diesem Zusammenhang Gestaltungsbeiräte. Häufig werden sie zu spät, zu punktuell oder ohne wirkliche Durchgriffsmöglichkeiten als beratende Stimmen in Baugenehmigungsverfahren eingesetzt und können nur noch versuchen, grobe gestalterische Fehlgriffe vermeiden zu helfen. Neben ihrer geringen Durchschlagskraft leiden sie darüber hinaus mitunter daran, dass sie sich an gestalterischen Lieblingsthemen von Fachleuten – beispielsweise der Sichtbarkeit von Technikaufbauten auf Gebäudedächern – „festbeißen“ und über das Einzelvorhaben hinausgehende größere gestalterische Kontexte nur eingeschränkt im Blick haben (können). Für eine intensivere gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung über die Fachwelt hinaus scheint es von Bedeutung zu sein, ob Gestaltungsbeiräte öffentlich tagen und inwiefern sie im oben genannten Sinne selbstreferentiell sind. Diskursive Verfahren, bei denen auch Bürgerjurys beteiligt sind, sind möglicherweise mehr geeignet als fachinterne Gremien wie Gestaltungsbeiräte oder konventionelle Wettbewerbe, einen stadtöffentlichen Diskurs anzustoßen und gerade Fragen der Nutzer*innenfreundlichkeit und Aneignungsfähigkeit zu verhandeln, die für die spätere Bewertung städtebaulicher Qualitäten wichtig sind.

Als vergleichsweise neues Instrument werden Konzeptverfahren genannt, weil hier im Idealfall unterschiedliche Akteure miteinander in Beziehung gesetzt, Gemeinsamkeiten erkennbar und Verbindungen geschaffen werden können. Das Potenzial eines Quartiers, mehr zu sein als die Summe seiner Einzelteile, kann so besser ausgeschöpft und Monotonie vermieden werden. Im Sinne von „form follows function“ kann das Arbeiten an der Funktionalität von Räumen deren mehrdimensionale Bedeutungsschichten sichtbar machen. Dafür ist es aber erforderlich, sich eben nicht nur den Kapitalverwertungskreisläufen zu ergeben, sondern einen Gestaltungsanspruch aufrechtzuerhalten und um ihn zu kämpfen. Eine immer wieder neu zu beantwortende Frage ist dabei, wie viele bzw. welche unterschiedlichen Schönheitsvorstellungen in einer Stadt Platz haben sollen und inwiefern sie sich in jedem Gebäude oder eher im Quartier wiederfinden lassen müssten. Im Sinne der Anpassungsfähigkeit wäre ein Bauen sinnvoll, das nicht nur Aneignung, sondern auch Erweiterung und Umnutzung mitdenkt.

Offen ist, inwiefern technische Anforderungen von Energieeffizienz und Gebäudedämmung, die sich z. B. in der vieldiskutierten Wärmedämmverbundfassade wiederspiegeln, zukünftig mit neuen ästhetischen Qualitäten in Einklang bringen lassen. Im Hinblick auf derartige bauliche Anforderungen, die bis zu einem gewissen Grad im Widerspruch zu einem Prinzip der ästhetischen Nachvollziehbarkeit von Konstruktion und Funktion stehen (und aus vielerlei anderen Gründen fachlich kritisiert werden …), kann allerdings genauso wenig wie in anderen Bereichen des Schönheitsdiskurses von fest gefügten und Zeitströmungen überdauernden fachlichen Grundsätzen ausgegangen werden. Dazu eine Anekdote: In den 1990er Jahren galten Vorhangfassaden aus Naturstein vor einem Betonskelett im architektonischen Diskurs in vielerlei Kontexten als Inbegriff „unehrlicher Architektur“. Ende der 2010er Jahre hingegen konnten die Autor*innen dieses Beitrags einer Diskussion zum Auslobungstext für ein Wettbewerbsverfahren beiwohnen, in dem zur Ausgestaltung von Fassaden sinngemäß formuliert wurde, mindestens eine Vorhangfassade sollte man doch schon fordern, wo allenthalben sterile Wärmedämmverbundsysteme Fassaden zu verschandeln drohen.

Nicht zuletzt stellt sich auch noch die Frage nach ethischen Standards bei der Produktion der schönen Stadt. In ihrem Buch „Root Shock“ (2016, zuerst 2004) diskutiert die US-amerikanische Professorin für Urban Policy and Health Mindy Thompson Fullilove die traumatischen Folgen der Urban-Renewal-Programme in ausgewählten US-amerikanischen Städten seit den 1940er Jahren. Es waren speziell die von afroamerikanischen Communities bewohnten Nachbarschaften in innerstädtischen Lagen, die mit dem Ziel der Inwertsetzung, der Aufwertung und der Modernisierung – vielfach durch Flächensanierung - neu geordnet und gestaltet wurden. Fullilove zeigt, inwiefern die betroffenen Communities bis heute davon traumatisiert sind, und plädiert für eine „Aesthetics of Equity“, eine Ästhetik der Fairness oder Gerechtigkeit. Sie bezieht sich dabei auf den Leitgedanken des französischen Architekten Michel Cantal-Dupart „… that beauty, if shared, can end poverty and injustice“ (2016:199). Eine solche „Ästhetik der Fairness“ würde vier Prinzipien folgen: 1) Gemeinschaft ebenso zu achten wie das Individuum, 2) Gebäude aus der Vergangenheit wertzuschätzen, 3) Zyklen von (ökonomistisch begründeten) Fehlinvestitionen zu durchbrechen und 4) Bewegungsfreiheit aller Bewohner*innen sicherzustellen. Was für die Schönheit von Städten hier interessant erscheint, ist, dass diese Prinzipien nicht aus einer rein gestalterischen Perspektive formuliert sind, auch wenn Schönheit ein Ideal bleibt. Zu diesem Ideal gehört jedoch nicht nur – und nicht einmal vorrangig – ein gestalterischer, sondern auch ein sozialräumlicher Anspruch. In eine ähnliche Richtung argumentiert auch Kevin Lynch in seinem in Deutschland kaum rezipierten Spätwerk „A Theory of Good City Form“ (1981), in dem er als wesentliche Kategorien guter städtebaulicher Gestalt zunächst vielleicht unerwartet die Begriffe vitality, sense, fit, access, control, efficiency und justice diskutiert.

Auf dem Weg zu einer neuen Baukultur?

Es war eine der Hoffnungen der Baukulturbewegung, über Information und Bildung für ein stärkeres Verständnis für moderne Architektur werben und damit den Traditionalismus zumindest ein Stück weit überwinden zu können. Bei der Wiederentdeckung des Bauhauses scheint dies auch gelungen zu sein, bei der Architektur der 1950er Jahre hingegen eher nicht. Zwar lenken Ausstellungen wie „big beautiful buildings – Als die Zukunft gebaut wurde“ oder „SOS Brutalismus – Rettet die Betonmonster“ (vgl. auch Wüstenrot-Stiftung/Elser et al. 2017 und www.sosbrutalism.org) die Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit auf die Architektur der 1950er bis 1970er Jahre, und die Ideen, die damit verbunden waren, werden hier auch wertgeschätzt. Aber als „schön“ wird diese Architektur damit noch lange nicht durchgehend empfunden. Dennoch: Städtebauliche Qualitäten können in einer Idee oder einem Detail liegen, die man als Laie schlicht nicht wahrnimmt. Aufgabe der Baukulturbewegung könnte es sein, den Blick genau darauf zu lenken. Die wichtige Aufgabe der Vermittlung zwischen verschiedenen Schönheitsbegriffen und Referenzsystemen müsste allerdings noch weiter gefasst werden, so dass eine prinzipielle Offenheit kultiviert wird. Dabei würde es gerade nicht darum gehen, die ungebildeten Laien zu informieren über das, was von der Fachwelt aus guten Gründen als „schön“ bewertet wird. Vielmehr müsste eine Baukulturbewegung scheinbar unumstößliche Maßstäbe regelmäßig aufgreifen und hinterfragen, um, darauf aufbauend, allmählich im Diskurs reifende Positionen zu finden.

Die Beiträge in diesem Band

Die Suche nach Wegen zur schönen Stadt wird in diesem Band in mehreren aufeinander aufbauenden Schritten vorgenommen. Den Einstieg bildet eine grundlegende Auseinandersetzung mit Herausforderungen und Ergebnissen der Auseinandersetzung mit dem Experten-Laien-Verhältnis im Städtebau. Der Architekturtheoretiker Riklef Rambow problematisiert in einem Interview mit den Herausgeber*innen, dass Schönheit in vielen Entwürfen von Architekt*innen keine relevante Kategorie ist, während sie bei der Bewertung städtischer Räume durch Nicht-Fachleute eine große Rolle spielt. Er betont die dringende Notwendigkeit der Vermittlung zwischen beiden Seiten; dabei haben für ihn die Fachleute eine größere Verantwortung, sich auf den Standpunkt von Laien einzulassen als umgekehrt. Rambow plädiert außerdem dafür, Schönheitsansprüche zwischen Innenstadtbereichen und Wohnquartieren zu differenzieren. Deren Bewertung unterliege auch immer zeitgenössischen Wahrnehmungen, so dass sich eigentlich erst im Zeitverlauf herausstellt, was schön ist und funktioniert und was nicht.

 

Daran anschließend wenden sich drei Beiträge der Gestaltung von Stadträumen im Alltag zu. Rainer Kazig betrachtet die Frage nach der schönen Stadt aus der Perspektive einer situativen Alltagsästhetik mit Bezug auf den Philosophen Martin Seel. Ästhetik wird hier verstanden als spezifische Form der Aufmerksamkeit, die drei distinkte Dimensionen der ästhetischen Wahrnehmung beinhaltet. Eine explorative empirische Untersuchung der Alltagswahrnehmung städtischer Räume zeigt, wie eng diese mit den sozialen Bedeutungen von Räumen verknüpft ist, z. B. mit dem Gefühl des Zuhauseseins oder Räumen als Ressource für Kreativwirtschaft. Abschließend diskutiert Kazig die Möglichkeiten von Planung und Architektur, auf die Alltagswahrnehmung von städtischen Räumen Einfluss zu nehmen.

An diesen Beitrag schließen sich zwei längere Interviews mit Persönlichkeiten an, die sowohl im Hinblick auf ihren persönlichen Hintergrund als auch ihr Arbeitsfeld einen fundamentalen Kontrast bilden – zwischen Architektin und als Bauingenieur ausgebildetem Stadtentwickler, zwischen Metropole und Kleinstadt, zwischen Neubau und Bestandsentwicklung. Nichtsdestoweniger wählen beide einen gleichen Zugang, der unmittelbar an den Bedürfnissen und Möglichkeiten der städtischen Bauherren und kleinen Eigentümerinnen ansetzt, wo ein Hebel zur Vermittlung zwischen fachlichen Qualitätsansprüchen und den sehr konkreten Alltagsperspektiven der „Macher“ von Stadt liegen kann.

Die in Berlin tätige Architektin Nanni Grau steht für das programmatische Werk des Büros „Hütten und Paläste“, das schon im Namen ironisierend auf den hier in Rede stehenden Vermittlungsanspruch eingeht. Sie plädiert für eine alternative Stadtproduktion, bei der das Prozesshafte im Mittelpunkt steht, Veränderbarkeit einprogrammiert wird und viele Akteure beteiligt sind. Übergeordnete gestalterische Ideen sollten erkennbar sein und dennoch Spielräume bieten. Für Grau liegt die Aufgabe von Architektur in der Schaffung von Möglichkeitsräumen, die Aneignung erlauben, und sie betont das Potenzial von Baugemeinschaften, die nicht nur kommerzielle oder ästhetische, sondern dezidiert auch soziale und ökologische Ziele verfolgen. Form steht für sie immer in engem Zusammenhang zur Funktion. Darin liegt für Grau zwar durchaus auch ein Potenzial zu scheitern. Sie findet es dennoch wichtig, Experimente zu wagen und vor allem partizipativ zu planen.

Michael Joost, seit Jahrzehnten in Wolfhagen in Nordhessen tätiger Stadtplaner, stellt die Herausforderungen für den Erhalt des typischen Stadtbilds einer Fachwerkstadt vor. Vielen Einzeleigentümer*innen fehlen die Mittel für aufwändige Renovierungen, so dass die Verwaltung kompromissbereit sein und für ihre Anliegen werben muss. Dabei sind ehrliche Kommunikation und der Aufbau gegenseitigen Vertrauens von essenzieller Bedeutung. Joost argumentiert, dass die Sanierung nicht nur als technisches, sondern auch als soziales Anliegen angegangen werden muss, gerade in einer Zeit, in der sich auch die Funktion von Innenstädten erheblich verändert hat. Die erfolgreiche Strategie von Wolfhagen hat gezeigt, dass Menschen nicht nur praktisch unterstützt, sondern auch emotional angesprochen werden müssen.

 

Die nächsten drei Beiträge fragen nach der Rolle von Investoren bei der Produktion von Städten. Sie beleuchten außerdem näher, wie Akteure der öffentlichen Hand mit ihnen sowie ihren Zielen bei der Entwicklung von Projekten umgehen sollten, wenn es um die Sicherung hoher gestalterischer Qualität geht. Sigrid Busch beschäftigt sich damit, inwiefern öffentlich-private Kooperationen hier einen Beitrag leisten können. Gerade in Städten, die nur über geringe öffentliche Mittel verfügen, sind in den letzten Jahren private Initiativen zur Aufstellung von Masterplänen zu beobachten. Anhand der privatwirtschaftlich initiierten Masterplanverfahren in Duisburg, Köln und Mönchengladbach kommt sie zu dem Schluss, dass privates Engagement für die Schönheit von Städten in eine integrative Planungskultur einzubinden ist und dafür auch tatsächlich Möglichkeiten bestehen. Dafür darf sich die öffentliche Hand nicht aus den Prozessen zurückziehen und muss dafür sorgen, dass die Planverfahren hinreichende Legitimation erlangen – etwa, indem die Chancen für die Einbeziehung einer breiteren Öffentlichkeit intensiv genutzt werden.

In dem anschließenden Interview mit Peter Jorzick, dem Geschäftsführer von HamburgTeam, einem außer in Hamburg vor allem in Berlin tätigen mittelständischen Projektentwickler, der sowohl für die preisgekrönten Projekte Falkenried in Hamburg und Puhlmannhof in Berlin als auch beispielsweise für die Entwicklung von Teilflächen in der kontrovers diskutierten Europacity in Berlin tätig ist, geht es um die Schwierigkeiten, heute eine „Einheit in der Vielfalt“ zu bauen, die auf Dauer anpassungsfähig bleibt, finanzierbar ist und dem aktuellen Bau- und Planungsrecht entspricht. Die Gestaltung der Erdgeschossbereiche und der Freiräume und vor allem Nutzungsvielfalt sind für Jorzick entscheidende Faktoren dafür, ob ein Neubauviertel funktionieren kann. So kann z. B. die Körnung vorgegeben werden und trotzdem im Laufe der Zeit ein Nutzungswechsel möglich sein. Jorzick plädiert dafür, die Projektentwickler als aktive Partner in Strategien der Wohnungs- und Städtebaupolitik einzubeziehen; nur so könnten die aktuellen Wohnraumbedürfnisse zeitnah gestillt werden. Sowohl die öffentliche Hand als auch die Bauherren sollten dabei über Schönheit nachdenken und Dialogbereitschaft zeigen.

Kristin Wellner setzt sich in ihrem Beitrag schließlich übergreifend mit dem Begriff der Investorenarchitektur auseinander und stellt die darunter subsummierten Entwicklungen in einen historischen und gesellschaftlichen Kontext. Dabei legt sie aufgrund des derzeit hohen Anteils an der gesamten Baumasse einen Schwerpunkt auf den Wohnungsbau. Sie weist darauf hin, dass Investoren im Städtebau schon immer eine Rolle gespielt haben und die Problematisierung eng mit einem Wandel der Anleger verknüpft ist. Pensionskassen und andere institutionelle Anleger spielen heute eine größere Rolle als früher. Wellner betont die Verantwortung von Architekt*innen für die Gestaltung eines „großen Ganzen“ und plädiert dafür, auch in deren Ausbildung den Blick für ihre gesellschaftliche Verantwortung zu schärfen. Dazu gehört auch, offen auf andere Beteiligte zuzugehen, um das Verständnis füreinander und für die Anforderungen an eine funktionale und schöne Stadt zu verbessern.

 

Die folgenden vier Beiträge untersuchen die besondere Bedeutung von ausgewählten Strategien und Instrumenten in einzelnen Handlungsfeldern der Stadtentwicklung – vor allem bei der Entwicklung und Qualifizierung von baulichen Beständen und der Innenentwicklung.

Regula Lüscher, Senatsbaudirektorin und Staatssekretärin für Stadtentwicklung von Berlin, betont im Interview, dass ein schönes Gebäude auch etwas an die Stadt und an die Gesellschaft zurückgeben sollte. Der städtebauliche und der Nutzungskontext spielen dabei eine wichtige Rolle. Ihre Erfahrungen aus dem Baukollegium Berlin zeigen, wie zwischen unterschiedlichen Interessen vermittelt werden kann, es aber auch immer auf Kommunikation und Motivation ankommt, damit hohe Qualität umgesetzt wird. Dabei hat sich die Verhandlungsposition der öffentlichen Hand in einer wachsenden Stadt verbessert. Schwierig gestaltet sich gelegentlich, den Schönheitsbedürfnissen der Bürger*innen zu entsprechen und den zunehmenden Wunsch nach verständlichen Bildern zu erfüllen. Bei Nachverdichtung wird in Berlin versucht, über einen funktionalen Mehrwert für die Bestandsbewohner*innen zu mehr Akzeptanz zu kommen.

Der Beitrag von Frank Schulz geht der Frage nach, inwiefern das Städtebauförderprogramm Stadtumbau im kommunalen Alltagsgeschäft genutzt wird und potenziell genutzt werden könnte, um Kriterien der schönen Stadtgestalt umzusetzen. Dazu untersucht der Autor in sieben deutschen Städten, welche förderlichen und hinderlichen Faktoren „gute“ Stadtgestaltung im Stadtumbau beeinflussen. Schulz kommt zu dem Schluss, dass Qualitätsansprüche durchaus existieren, es aber im Einzelfall schwierig sein kann, sie mit den Bedürfnissen und konkreten städtebaulichen Problemlagen vor Ort in Einklang zu bringen. Der integrierte Ansatz bietet für Schulz ein Potenzial, diese Fragen kombiniert anzugehen, ist allerdings noch keine Garantie für die Entstehung einer schönen Stadt.

Hartmut Topp zeigt anhand einer Reihe von Beispielen aus unterschiedlichen Städten auf, welchen Herausforderungen die städtebauliche Gestaltung der öffentlichen Räume angesichts der nach wie vor hohen Bedeutung des Automobils gegenübersteht und wie diese bewältigt werden können. Die vorgestellten Ansätze beschäftigen sich in diesem Sinne alle mit einer „Reparatur der Stadt der Moderne“ und gehen davon aus, dass mit einer Steigerung der Aufenthaltsqualität durch Zurückdrängung des Autoverkehrs aus dem öffentlichen Raum – ohne dabei weltfremd zu sein oder naiven Ideologien anzuhängen – Fortschritte auf dem Weg zu schöneren Städten erzielen lassen. Die dargestellten Interventionen sind zwar alle zunächst kleinräumig, doch kann Topp überzeugend nachweisen, dass die Veränderungen gerade an wichtigen Schlüsselorten in der Stadt wesentlich für das Erleben des Stadtraums und die Identität von Städten sind.

Cord Soehlke, Stadtbaurat in Tübingen, bekannt geworden insbesondere durch eine Vielzahl von innerstädtischen Konversionsprojekten mit Schwerpunkt auf der Förderung von Kleinteiligkeit, Nutzungsmischung und Baugruppen, schlägt in einem Interview drei Gestaltungsprinzipien für eine schönere Stadt vor: Ordnung und Struktur, die Erzeugung eines gemeinsamen Mehrwerts sowie die Aneignungsfähigkeit von Räumen. Diese Prinzipien müssen für ihn auf unterschiedlichen Maßstabsebenen erkennbar sein. Soehlke betont die rahmensetzende Funktion der Verwaltung und die wichtige Rolle, die der Rückhalt durch die Politik spielt. Wenn es gelungene Projekte gibt, mit denen man zeigen kann, was alles möglich ist, lässt sich ein solcher Rückhalt gewinnen, um auch etwas zu wagen, was möglicherweise scheitern kann. Allerdings sind auch in Tübingen Kapazitätsgrenzen zu beachten, so dass immer wieder geschaut werden muss, was an einer konkreten Stelle möglich ist.

 

Der abschließende, aus zwei Beiträgen bestehende Block widmet sich einem Blick in einen Bereich, der heute nur noch selten im Mittelpunkt der Stadtentwicklung steht, aber nichtsdestoweniger für unser Verständnis der Schönheit von Städten immer wieder mindestens von großer symbolischer Bedeutung war: dem Bau gänzlich neuer Städte. Im 20. Jahrhundert war dieser nach dem Aufkommen der städtebaulich-architektonischen Moderne vorrangig in Ländern des globalen Südens und dort vor allem bei der Entwicklung neuer Hauptstädte zu beobachten.

Michael Bose hat sich in diesem Zusammenhang systematisch mit beinahe allen neu gegründeten Hauptstädten des vergangenen Jahrhunderts beschäftigt und Entstehung, Wachstum sowie aktuelle Perspektiven der jeweiligen Städte eingehend untersucht. Seine umfangreichen Ergebnisse resümiert er mit besonderem Blick auf die Bedeutung der Städtegründungen für die Fragen danach, inwiefern dabei schöne Städte entstehen und was in einem solchen Zusammenhang Schönheit überhaupt bedeuten könnte. Angesichts der vielfältigen Entwicklungshemmnisse, die im Gefolge von Dekolonialisierung, Nationenbildung und baulicher Selbstvergewisserung unabhängig gewordener Länder vielfach auftreten, sowie der unterschiedlichen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen geht es dabei zunächst erst einmal um die Entwicklung schlüssig aufgebauter, angemessen mit Infrastruktur und angemessenem Wohnraum ausgestatteter funktionsfähiger Städte, um soziale Polarisierung und ähnliche Fragen. Ein weitergehender Blick auf die gestalterische Seite macht u.a. deutlich, welche Herausforderung darin liegt, die Ansprüche an Repräsentation mit den Alltagsbedürfnissen der in den neuen Hauptstädten wohnenden Bevölkerung zu verknüpfen.

Harald Kegler vertieft diesen Zugang durch eine genauere Betrachtung von Lagos und Abuja in Nigeria. Er wirbt angesichts der aus europäischer Sicht schwer nachvollziehbaren städtischen Entwicklungsprozesse und baulich-räumlichen Strukturen für einen veränderten Blick auf die Städte des globalen Südens auch in städtebaulich-gestalterischer Sicht. Dafür bietet er einen mehrdimensionalen Schönheitsbegriff an, der die Eleganz der zugrunde liegenden Pläne, die dagegen zu setzende postmoderne Realität der sich bildenden Zentren sowie schließlich die aus der Auflösung und Fragmentierung städtischer Strukturen abgeleitet werden kann. Insbesondere die stadtregionalen Beziehungen sowie das Verhältnis zwischen der älteren Megacity Lagos sowie der neuen Hauptstadt Abuja und ihre sich verändernden Wechselwirkungen spielen dabei eine wesentliche Rolle.

Mit diesen vertiefenden Auseinandersetzungen zur schönen Stadt ist die betreffende Debatte sicherlich keineswegs an ein Ende gekommen. Vielmehr versucht der vorliegende Band, mit kritischen Blicken auf die Praxis zu neuen Perspektiven der Planung zu gelangen. Dies war über viele Jahre ein wesentliches Prinzip der Planungsrundschau, die sich zum Ziel gesetzt hatte, mit Tiefenbohrungen in unterschiedlichen Schwerpunktbereichen der Planungswirklichkeit scheinbar selbstverständliche Begriffe, Leitbilder und Strategien genauer zu hinterfragen oder gar zu dekonstruieren. Der aktuelle Band 25 beschließt nach 20 Jahren die daraus entstandene Buchreihe. Uwe Altrock und Sandra Huning resümieren in einem Abschlussgespräch diesen Ansatz und seine Ergebnisse.

Literatur

Burckhardt, L. (2006) Warum ist Landschaft schön? Die Spaziergangswissenschaft. Berlin: Martin Schmitz Verlag.

Fullilove, Mindy Th. (2016): Root shock. How tearing up city neighborhoods hurts America, and what we can do about it. New York: One World/Ballantine Books

Krais, B.; Gebauer, G. (2017): Habitus. Bielefeld: transcript.

Lynch, K. (1981): A Theory of Good City Form. Cambridge, MA: MIT Press

Wüstenrot-Stiftung / Elser, O.; Schmal, P.C.; Kurz, P. (Hrsg.) (2017): SOS Brutalismus. Eine internationale Bestandsaufnahme. Ludwigsburg/Frankfurt a. Main/Zürich: Park Books