Uwe Altrock

Editorial

Schon vor langer Zeit hatte sich die Planungsrundschau vorgenommen, den Zusammenhang von Planungssystem, gesamtstädtischer Ordnung und Planungswirklichkeit in Europa zu untersuchen. Doch wie das unüberschaubare Thema erfassen? Zunächst lag es nahe, wichtige „große“ Länder miteinander zu vergleichen. Doch erscheint ein solches Vorgehen aus mindestens zweierlei Gründen problematisch. Erstens sprengt die Zahl der Artikel, die erforderlich ist, um ein so umfassendes Vorhaben einigermaßen abgerundet „auf die Beine zu stellen“, wahrscheinlich jede Planungszeitschrift. Doch wenn zweitens auswählen, dann wie? Welches sind die „kleinen“ Länder, und ist es nicht zu kurz gegriffen, diese einfach zu vernachlässigen? Die Umbrüche, die sich derzeit unter den Vorzeichen von wirtschaftlichem Strukturwandel, Haushaltskrisen, EU-Einigungsprozess usw. in den einzelnen Ländern abspielen, sind jedoch zu bedeutsam, als dass sie im planungspolitischen Profil einer Zeitschrift längerfristig ausgeblendet bleiben könnten.

Nach einer Abwägung systematischer und pragmatischen Überlegungen entstand ein Konzept, das höchstens als Auftakt zu der oben skizzierten Auseinandersetzung verstanden werden kann. Es liegt nun ein Heft vor, das sich allein auf bereits in der EU befindliche Staaten beschränkt – eine spätere Ausgabe wird sich dafür schwerpunktmäßig mit Osteuropa befassen. Wichtige Nachbarländer und europäische Staaten, über deren Planungsdebatten in Deutschland aufgrund der sprachlichen Barriere viel zu wenig bekannt ist, standen dabei im Mittelpunkt.

Dies gilt für mehr Länder, als man zunächst denken mag. Nur ein kleiner Kreis von Planerinnen und Planern schaut aufmerksam über die Grenzen, und es zeigt sich, dass dieser Blick häufig sogar äußerst selektiv ist. Meist wird er dadurch gesteuert, welche Deutschen gerade zu welchem Thema im Ausland forschen – so sind wertvolle Monographien und Sammelwerke beispielsweise zu den Themen Soziale Stadtteilentwicklung oder Stadterneuerung entstanden -, welche Themen in der EU in Fachzirkeln diskutiert werden – hier spielen häufig regionalplanerische und verkehrspolitische Fragestellungen eine Rolle -, oder welche englischsprachigen Artikel und Bücher in Deutschland eine gewisse Verbreitung erlangen. Interessanterweise ergibt sich ein ganz anderer Blick auf die Innovationen und Veränderungen in den Planungssystemen einiger Länder, wenn man diesen üblichen Fokus etwas aufweitet. Es werden gewisse Parallelen deutlich, ebenso wie Unterschiede, die Auskunft geben könnten über die Spielräume, die in den einzelnen Systemen für Weiterentwicklungen überhaupt bestehen.

In einem solchen Zusammenhang darf ein Blick auf Großbritannien nicht fehlen. Der Kontrast, den das Land durch seinen traditionellen Zentralismus, seine stürmische Privatisierungspolitik und durch sein entwicklungsgeleitetes System zu Deutschland bildet, hat bereits in den vergangenen Jahren viele Planer hierzulande beschäftigt. Die Möglichkeiten von public-private partnerships oder die Folgen der allmählichen Abgabe von Macht der Zentralregierung im Zuge der Blairschen Reformen sind vielfach in der deutschsprachigen Literatur dokumentiert. Die Elemente des plangeleiteten Systems, die allmählich Eingang in das britische System finden, die Auswirkungen der EU-Politik oder der Umgang mit dem steilen Gefälle zwischen dem boomenden Südosten und den eher benachteiligten Regionen liefern reichhaltiges Anschauungsmaterial, das der Debatte in Deutschland eine Fülle von Anregungen, aber auch Warnungen geben könnte. Robin Ganser und Martin Rumberg wagen das schwierige Unterfangen, hier einen knappen Überblick zu geben, der insbesondere durch die Darstellung des komplexen Gewirrs von Reformbemühungen und Debatten hohe Authentizität erlangt.

John Andersen zeigt in seinem Beitrag über Dänemark, wie der nördliche Nachbarstaat Deutschlands, der in seiner Toleranz und Fähigkeit zur sozialen Integration landläufig beinahe als Inseln der Seligen erscheinen mögen. Doch der oberflächliche Blick trügt, wie Andersen nachweist. Auch Dänemark ist gefordert, ökonomisches Krisenmanagement zu betreiben, und offenbar gehört dazu auch die allmähliche Übernahme von elitären Praktiken, die der partizipativen Tradition entgegenstehen und daher hier als „Dualität“ der dänischen Planung beschrieben werden.

Maarten Wolsink beschäftigt sich mit den Veränderungen in den Niederlanden, die wohl als das Land gelten können, auf das Deutschland planerisch immer wieder neidisch schaut. Sein Beitrag ist insbesondere deshalb wertvoll, weil er entgegen der üblichen Rezeption des niederländischen Planungsgeschehens im Ausland eher unbekannte Veränderungstrends beleuchtet, die aus planerischer Sicht keineswegs uneingeschränkt befürwortet werden können. Im Mittelpunkt stehen große Infrastrukturprojekte, insbesondere Verkehrsprojekte, für deren Planung eine umfangreiche Beschleunigungsgesetzgebung entwickelt worden ist. Wolsink kann nachweisen, dass die niederländische Politik dafür hierarchische Tendenzen gestärkt und die vermeintliche St.-Florians-Haltung der Bürger als Legitimationsstrategie eingesetzt hat.

Der Artikel über Frankreich von Alfried Braumann und Christoph Elineau geht ebenso wie der über Großbritannien von der zentralistischen Praxis und Organisation des Staatswesens aus, die nicht zuletzt durch den EU-Einigungsprozess in Frage gestellt werden, so dass sich ältere Dezentralisierungstendenzen in der Raumordnung unterstützen. Die vielfältigen Kooperationsformen zwischen den verschiedenen staatlichen Ebenen, die dabei entstehen, werden eingehend dargestellt. Trotz der massiven Bemühungen der neuen Regierung zu einer weiteren Dezentralisierung erscheint vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus der Vergangenheit dennoch offen, ob Frankreich wirklich zu einem „regionalisierten“ Land werden wird.

Inés Sánchez de Madariaga stellt in ihrem Beitrag die planungsrechtlichen Reformen dar, die das seit dem Ende der Franco-Diktatur in einem lang anhaltenden gesamtstaatlichen Reformprozess befindliche Spanien in Atem halten. Der bedeutende wirtschaftliche Aufschwung, den das Land genommen hat, schimmert dabei stets durch, wenn am Ausgangspunkt für die Vereinfachung des relativ rigiden Planungssystems das Ziel einer Verringerung der Wohnungspreise über die Vereinfachung der Mobilisierung von Wohnbauland steht. Die spanischen Regionen sind inzwischen dazu berechtigt, das nationale Rahmenrecht unterschiedlich weiterzuentwickeln. Wenngleich der Trend zur Vereinfachung des Rechts kein spezifisch spanisches Phänomen darstellt, ist die Unverfrorenheit doch beachtlich, mit der einige Akteure offenbar die planerische Steuerung über die Aushebelung wirksamer Flächenausweisungsinstrumente zugunsten eines beinahe als Wildwuchs zu bezeichnenden Liberalismus unterminieren. Im Ergebnis wird deutlich, dass – wie anderswo – der Konflikt zwischen Baulandmobilisierung und flächensparender Entwicklung auf höchster Ebene zugunsten einer nur sehr begrenzt nachhaltigen Flächennutzung entschieden wird.

Die beiden Beiträge von Marco Cremaschi und Pietro Elisei, die den italienischen Reformprozess skizzieren, belegen sehr eindrücklich, dass in einem der beliebtesten Urlaubsländer der Deutschen Veränderungen im Planungssystem im Gange sind, die nördlich der Alpen kaum rezipiert werden. Wie im spanischen Fall, so schlägt sich auch Italien mit dem Erbe eines autoritären Systems herum, das über die Jahre zwar in vielfältiger Weise weiterentwickelt worden ist, aber heutigen Anforderungen inzwischen nicht mehr gerecht zu werden scheint. Dies zeigt sich an der auch in Deutschland beobachtbaren Umkehrung von Planung und Realentwicklung, die dazu führt, dass projektbezogene Bautätigkeit in den schwerfälligen gesamtstädtischen Planwerken de facto nur noch nachrichtlich ergänzt wird und die Steuerungswirkung integrativer Stadtentwicklungspläne verloren gegangen ist. Zwar kann der Erfolg der italienischen Reformen keineswegs abschließend beurteilt werden, doch ist die Vielfalt der Experimente, die auf regionaler und lokaler Ebene durchgeführt worden sind und dabei u. a. das Instrument des „Territorialpaktes“ hervorgebracht haben, vor dem Hintergrund ihres Versuchs einer Synthese projekt- und planorientierten Vorgehens eine genauere Evaluierung auch aus deutscher Sicht wert. Insbesondere zeigt sich, dass die räumliche Entwicklung in den benachteiligten Regionen im Süden Italiens, in denen integrierte Planung bislang einen vernachlässigbaren Erfolg hatte, mit den neuen Instrumenten wirkungsvoller gesteuert werden kann.

Die Zusammenstellung dieser Situationsberichte aus europäischen Ländern kann als Diskussionsgrundlage für eine Auseinandersetzung mit den sich einander annähernden Planungssysteme und ihren Spezifika dienen. Die Redaktion hofft, dass sie dazu anregt, die sich hartnäckig haltenden Klischees über verschiedene internationale Planungstraditionen ein wenig aufzuweichen und sich überdies mit den Innovationen eingehender zu befassen, die in Europa derzeit erprobt, aber von der deutschen Planungsdebatte vielfach übersehen werden. Für Anregungen und Kommentare, die in diese Richtung gehen und möglicherweise eine noch stärkere Internationalisierung des deutschen Blicks auf die Planungspraxis fördern helfen, sind wir jederzeit dankbar.

Ein Team des Instituts für Regionalentwicklung und Strukturplanung beleuchtet gewissermaßen ergänzend zum Wandel der Planungssysteme fallstudienartig die Situation im Osten Deutschlands. Dabei legen sie den Fokus jedoch stärker auf die sich wandelnde „Planungskultur“, die sich durch die vielfach entstandenen informellen Planungsprozesse herauszubilden scheint. Diese ist durch kollektive Lernprozesse in Formen der Selbstorganisation auf regionaler und lokaler Ebene geprägt, die von mächtigen Akteuren zumindest zugelassen wird. Allerdings erscheint  sie den Autorinnen und Autoren fragil. Lars Vogelsang behandelt daran anschließend die Folgen des Weltgipfels in Johannesburg und zeigt, dass sich trotz des Fehlens durchschlagender Erfolge die „Mühen der Ebene“ in der internationalen Nachhaltigkeitspolitik zu lohnen scheinen. Der von Simon Güntner besprochene Artikel von Patsy Healey macht auf ein verändertes Verständnis von Bildern von Stadt aufmerksam. Die gewagte These von Healey besteht darin, dass normative Leitbilder von Städten der gemeinschaftlichen Erarbeitung durch die Gesamtheit der in der Stadt vorhandenen Akteure zugänglich sein könnten und dabei die Chance aufweisen, im Gegensatz zu den üblichen Marketing-Slogans eine integrierende und dynamische und damit im aufrichtigen Sinne konsensstiftende Funktion für die Stadtentwicklung besitzen könnten. Der von Uwe Altrock besprochene Artikel von Louis Albrechts geht der Frage nach, wie sich die Sichtweisen von Planern an Hochschulen und Planungspraktikern unterscheiden. Neben der Bedeutung, die einer solchen Analyse für die Überprüfung von Lehrinhalten an Universitäten zukommen könnte, reflektiert die Untersuchung auch die derzeitigen „Moden“ der Planungswissenschaft und den Grad ihrer „Bodenhaftung“. In eine ähnliche Richtung tendiert die Buchbesprechung des Werks von Michael Steinbusch, die die Denkweisen von Bewohnern der „Zwischenstadt“ zum Gegenstand hat. Die Besprechung des Buchs von Tewdwr-Jones und Williams ergänzt gewissermaßen den Schwerpunkt dieses Hefts um eine weitere Facette der britischen Planung.

Abschließend soll noch ein kleiner Ausblick auf die nächsten geplanten Ausgaben der Planungsrundschau gegeben werden. Das nächste Heft bildet sozusagen das kleinräumige Gegenstück zur vorliegenden Ausgabe. Es wird sich europäischen Städten im Umbruch zuwenden und dabei insbesondere der Frage nachgehen, welchen Einfluss politische Wechsel auf die Veränderung der Stadtentwicklungspolitik haben. Neben den deutschen Stadtstaaten werden London, Paris und Kopenhagen beleuchtet, Städte, in denen jeweils einschneidende Verwerfungen des lokalpolitischen Spektrums zu verzeichnen sind. An dieser Stelle sei stellvertretend nur die Beteiligung von Parteien, die landläufig als extrem rechts (Schill-Partei in Hamburg) oder als extrem links (PDS in Berlin) gelten, an der Stadtregierung genannt. Dass solche Parteien nicht zwangsläufig derart massive Veränderungen herbeiführen, wie sie zuvor vollmundig ankündigen, ist nicht nur in der Politikwissenschaft altbekannt und wird durch das Scheitern von Gysi als Berliner Wirtschaftssenator sowie den Niedergang der Schill-Partei in Hamburg aufs Augenfälligste dokumentiert. Dennoch lohnt es sich, genauer hinzusehen, sowohl was die Möglichkeiten zur Sprengung verkrusteter Strukturen anbetrifft als auch hinsichtlich der kleinen schleichenden Veränderungen mit nachhaltiger Wirkung, die von ihnen ausgelöst werden.

Das übernächste Heft wird seinen Schwerpunkt auf das Thema „Innovation“ legen. Aus den verschiedensten Blickwinkeln und auf unterschiedlichen räumlichen Ebenen soll der Frage nachgegangen werden, wie in der Planungspraxis innovative Ansätze entstehen, sich verbreiten und auf welche Widerstände sie stoßen. Umfelder innovativer Politik sollen identifiziert und der Beitrag von Sonderkonstellationen zur Entstehung bestimmter Vorzeigeprojekte oder maßgeblicher Entwicklungsschübe der Profession erfasst werden.

Für das aktuelle Heft gilt mein Dank neben den Autorinnen und Autoren vor allem den zahlreichen Übersetzerinnen und Übersetzern sowie dem Team in Hamburg, das den Aufbau des Website tatkräftig unterstützt hat.