Uwe Altrock / Juliane Martinius

Perspektiven eines Superressorts – Das Programm der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung

1. Einführung

Mit der Vereinigung der Senatsdienststellen für Stadtentwicklung, Bauen, Wohnen, Verkehr und Umweltschutz zur Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ist eine zwiespältige Ära zu Ende gegangen. Im West-Berlin der frühen 1980er Jahre, als sich der frischgebackene Senator Volker Hassemer entschlossen hatte, die „schützenden" und die „planerischen" Senatsverwaltungen unter einem Dach, damals des Senators für Stadtentwicklung und Umweltschutz, zu vereinen, war diese Abspaltung von dem beinahe schon berüchtigten Bausenat als vielversprechendes Experiment aufgenommen worden. Letzterer, nicht zuletzt durch die Politik der Kahlschlagsanierung und des Großsiedlungsbaus ins Gerede gekommen - selbst das vorläufige Ende der SPD-Herrschaft in Berlin fast ein Jahrzehnt nach der ruhmreichen Ära von Willy Brandt hatte im Zusammenhang mit einem Bauskandal gestanden -, schien dem ehrgeizigen CDU-Liberalen wohl zu wenig Möglichkeiten der Profilierung zu bieten, und die stärkere Verankerung des Umwelt- und Denkmalschutzgedankens in der Politik hatte eine symbolische Stärkung verdient.

Die Geschichte der Koexistenz zwischen den beiden Senatsverwaltungen für Bau- und Wohnungswesen sowie für Stadtentwicklung und Umweltschutz wurde jedoch in Zeiten von Koalitionsregierungen, in denen jeweils eines der beiden Ressorts einer Partei zufiel, bald als Leidensgeschichte einer nicht enden wollenden Konkurrenz und gegenseitigen Blockade um der parteipolitischen Profilierung Willen wahrgenommen. Die Steuerungsansätze des Flächennutzungsplans wurden durch die projektbezogene Politik der viel größeren Bauverwaltung mit ihrer Kompetenz für die Bebauungsplanung konterkariert, und angesichts weiterer zentrifugaler Kräfte in der Wirtschafts- und der Verkehrsverwaltung sowie in den Bezirken entspann sich ein schwer überschaubares Netz, das von außen betrachtet in die Nähe von Unregierbarkeit zu driften schien. Eine Zuspitzung erhielt der Konflikt durch die Vereinigung, in der ein wachstumsorientierter SPD-Bausenator und eine grüne Stadtentwicklungssenatorin schnell mit ihrem Senat an den unterschiedlichen Auffassungen von den neuen Herausforderungen scheiterten. Die Gegnerschaft zwischen SPD und CDU in den seitdem regierenden Großen Koalitionen wurde dadurch überdeutlich, dass eine Dominanz des kleineren Partners in der Koalition nicht mehr leichthin möglich war.

Schaut man genauer hin, wird bei allen Schreckbildern einer unregierbaren Metropole schnell deutlich, dass von Blockade während der Vereinigungseuphorie keineswegs die Rede sein konnte. Enge Absprachen zwischen Bausenator Nagel von der SPD und Stadtentwicklungssenator Hassemer von der CDU sowie eine informelle Kompetenzabgrenzung im Innenstadtbereich konnten zwar Profilierungskämpfe an den Vorzeigeprojekten Potsdamer und Alexanderplatz nicht komplett verhindern. Sie machten den Senat aber so entscheidungsfähig, dass die Stadt heute noch mit einem hohen Büroflächenleerstand geschlagen, aber vergleichsweise niedrigen Büromieten gesegnet ist. Die wahre Kontroverse der Stadtentwicklungspolitik spielte sich in der Verkehrspolitik ab. Frühe Stellvertreterkriege um die Durchfahrbarkeit des Brandenburger Tors waren nur ein Vorgeschmack auf das Gegeneinander einer fahrstreifenorientierten CDU- und einer rückbauorientierten SPD-Politik bei nurmehr verbal-symbolischer Verständigung auf das von Anfang an kaum erreichbare Ziel eines innerstädtischen Modal Splits von 80:20 zwischen ÖPNV und MIV.

Dennoch macht sich offenbar unter Planern, Architekten und Soziologen Erleichterung breit, wenn sich nun die Kompetenzen für die vorbereitende und die verbindliche Bauleitplanung sowie für die Stadtentwicklungs- und die Verkehrsverwaltung wieder unter einem Dach befinden. Auf der anderen Seite werden auch Befürchtungen laut, der mächtige Senatsbaudirektor Stimmann könne nun die Stadtentwicklungspolitik nach Gutsherrenart bestimmen und sie eigenmächtig vollends auf Städtebau verkürzen. Eine Verwaltungsreform, die die einzelnen Bezirke zwar stärkt, aber ihre budgetären Möglichkeiten begrenzt und die zusammengelegten Großbezirke in innere Findungsprozesse stürzt, bringt in diesem Zusammenhang zusätzliche Unsicherheiten mit sich.

Vor diesem Hintergrund erscheint es lohnend, sich mit dem Programm des neugebildeten Superressorts für Bauen, Wohnen, Verkehr, Stadtentwicklung und Umweltschutz auseinander zu setzen, das in einer 23-seitigen Presseerklärung des Senators Peter Strieder (SPD) im Januar dieses Jahres der Öffentlichkeit präsentiert wurde und das nun im Zusammenhang mit den Aktivitäten der ersten Monate die Möglichkeit bietet, erste zögerliche Einschätzungen vorzunehmen und Richtungen zu identifizieren. Dazu wurden mehrere Hochschullehrer befragt, die an der Technischen Universität und der Humboldt-Universität lehren. Sie wurden gebeten, das Programm kritisch zu beurteilen und konstruktive Kritik zu üben. Die folgende Dokumentation stellt Ausschnitte dieser Interviews zusammen. Diese Interviews werden in der nächsten Ausgabe fortgesetzt.

2. Interviews

"Stadtentwicklung wird immer als Städtebau diskutiert"
Gespräch mit Prof. Dr. Hartmut Häußermann

Planungsrundschau:
Wie beurteilen Sie die Bildung des neuen "Superressorts"?

Häußermann:
Ich weiß nicht, warum man das "Superressort" nennt. Das ist eine Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, in der alle dafür wichtigen Bereiche zusammengefasst sind. Ich weiß nicht, ob das in anderen Städten auseinanderdividiert ist. Die Teilung in zwei verschiedenen Verwaltungen war ja eine Katastrophe, weil die verschiedenen Abteilungen gegeneinander gearbeitet haben, nur weil die Senatoren unterschiedlichen Parteien angehört haben. Von daher ist das Ressort in keiner Weise eine Gefahr, sondern eine Chance, ja sogar eine Notwendigkeit.

Planungsrundschau:
Können Sie einen Rückblick auf die Zweiteilung der Ressorts geben? Es gibt ja die These, dass sie wenigstens eine Thematisierung von Konflikten sicherstellt, die dann auch öffentlich werden, so dass Konflikte nicht einfach unter dem Deckel gehalten werden, und dann gibt es die These der Blockade, die Sie gerade implizit formuliert haben.

Häußermann:
Man kann natürlich sagen, dass durch die Zweiteilung bestimmte Konflikte öffentlich werden, nur meine ich, dass es in der Stadtentwicklung nicht nötig ist, dass Konflikte öffentlich diskutiert werden, weil Senatoren unterschiedlichen Parteien angehören und sich voneinander absetzen wollen. Es gibt genug Probleme, über die man öffentlich diskutieren und sich auch streiten kann. Da braucht man nicht diesen Aktivierungsanlass von zwei verschiedenen Politikern. Man kann schlecht verlangen, dass die Verwaltung selbst die Diskussion in der Öffentlichkeit inszeniert. Das muss man von unten anstoßen. Das ist eine Aufgabe der Öffentlichkeit, der Medien. Früher diente dazu einmal das Stadtforum, das inzwischen auch zu einem Organ der Senatsverwaltung geworden ist.

Planungsrundschau:
Worin sehen Sie die Voraussetzungen für eine öffentliche Diskussion der betreffenden Themen? Sind sie derzeit in Berlin gegeben?

Häußermann:
Ich finde, dass die Öffentlichkeit in Berlin an Fragen von Stadtentwicklung ziemlich interessiert ist. Was ich sehr seltsam finde und mir nicht erklären kann, ist, dass Stadtentwicklung immer als Architekturproblem diskutiert wird. Kaum jemand bringt das Wort Stadtentwicklung über die Lippen. Es heißt dann immer gleich ‚Städtebau‘. Aber für den Zusammenhang zwischen räumlicher, ökonomischer und sozialer Entwicklung gibt es nicht wirklich eine intelligente Öffentlichkeit. Es gibt dagegen viel Gerede über Namen von Stararchitekten, internationalen Glamour - so wie über die Filmfestspiele gesprochen wird, so wird auch Stadtentwicklung diskutiert. Woran das liegt, weiß ich nicht. Es ist vielleicht zu schwierig, weil man die Diskussion nicht in kleine Formeln packen kann und es langweilig sein mag, so komplex zu denken. Journalisten wollen beispielsweise kurze, knackige Bilder haben. Aber ich kenne das aus keiner anderen Stadt so extrem wie hier in Berlin, wo die Häuser sogar nach ihren Architekten benannt werden, im Gegensatz z.B. zu New York, wo die Investoren als Eigentümer namensgebend sind.

Planungsrundschau:
Wie schätzen Sie die Inhalte des Programms ein?

Häußermann:
Was mir an Strieder gut gefällt - trotz aller Probleme seiner manchmal nicht wirklich durchdachten Redeweise - ist, dass er auf soziale Fragen ansprechbar ist und dieses Programm die Themen soziale Ausgrenzung und soziale Stadt wirklich ernst meint. Nicht weil es Mode ist, sondern als glaubwürdige Inhalte. Das finde ich im Vergleich zu dem, was ich in Berlin an Stadtentwicklungspolitik gewohnt bin, vielversprechend. Man wird da ja bescheiden. Es ist heute sehr schwer, für stadtentwicklungspolitische Zielsetzungen, die nicht nur allgemeines Blabla sind, überhaupt eine Unterstützung und eine Mehrheit zu mobilisieren. Wenn Sie daran denken, dass Sie bei allen verteilungspolitischen Fragen jeden, dem Sie etwas geben, auch als Gegner haben, beispielsweise eine Person als Familienvater und als Autofahrer, dann sehen Sie, dass es sich um sehr komplexe Problemlagen handelt, und dass Lokalpolitik schwerer als je ist. Insofern muss man froh sein, dass es einen Senator gibt, der ein Gespür für soziale Problemlagen hat. Ob die Wähler ihm das honorieren, das weiß ich nicht – zumal diejenigen, die am stärksten betroffen sind, keine Stimme bei der Wahl haben: die Berliner mit ausländischem Pass.

Planungsrundschau:
Haben Sie Indikatoren dafür, dass Strieder es ernst meint mit sozialen Fragen? Wie misst man, ob das Programm ein Erfolg ist?

Häußermann:
Ein Stadtentwicklungssenator in Berlin könnte sich auf die Themen beschränken, die auch die Illustrierten, die Nachrichtenmagazine und das Fernsehen interessieren: große Investitionen. Er hätte es überhaupt nicht nötig, sich um soziale Probleme zu kümmern, wenn er nicht wirklich überzeugt davon wäre. Dass er sich mit diesen Problemen auseinandersetzt, ist mein Indikator dafür, dass er es ernst meint. Natürlich sind die dafür bereitgestellten Mittel wenig, aber im Vergleich zum Bund schon ein guter Anfang. Man muss darauf achten, dass sich das gut entwickelt, was im Hinblick auf das Quartiersmanagement noch keineswegs sicher ist. Aber ob das Quartiersmanagement ein Erfolg wird, kann man erst in einigen Jahren beurteilen.

Strieder hat es bei Privatisierungen, gerade von Wohnungen, immer mit dem Finanzsenator zu tun. Es ist für die sozialräumliche Entwicklung und die Versorgung von sozial schwachen Gruppen eine besonders schädliche und sinnlose Strategie, Wohnungen zu verkaufen, um den Haushalt zu sanieren, da dadurch keine langfristige Sanierung stattfindet. In diesem Zusammenhang hat Strieder immerhin die Position vertreten, die Bildung von Genossenschaften für die Übernahme von Wohnungen aus öffentlichem Eigentum zu unterstützen. Zwei große Genossenschaftsprojekte, in den letzten 15 Jahren wahrscheinlich die ersten, hätten ohne Unterstützung von Strieder nicht realisiert werden können. Der Finanzsenator hat dies heftig bekämpft. Hier finde ich Strieders Politik mutig, hier zeigt er wirklich Profil. In der Wohnungspolitik gibt es nichts Wichtigeres als die Unterstützung von solchen Initiativen, die nicht auf Profiterzielung angelegt sind, sondern von den Bewohnern ausgehen und Wohnungen für ihre Bedürfnisse sichern.

Planungsrundschau:
Wird im Bereich des Quartiersmanagements hinreichend dafür Vorsorge getragen, dass im Sinne schnell messbarer Erfolge die Ausrichtung nicht wieder dahin abgleitet, dass lediglich Baumaßnahmen gefördert werden?

Häußermann:
Für Berlin kann ich das noch nicht beurteilen. Das ist ein Grundproblem, das insbesondere das bundespolitische Programm hat. Da stinkt der Fisch wirklich vom Kopf her. Man nennt das ganze Programm ‚Soziale Stadt‘, und nach wie vor gibt es praktisch kein Geld für soziale Aktivitäten in diesem Zusammenhang. Ich hoffe, dass es sich hier nur um Anfangsprobleme handelt, die in ein oder zwei Jahren überwunden sind. Die starre Einteilung in investive und konsumtive Mittel ist völlig absurd, davon muss man wegkommen.

Planungsrundschau:
Was halten Sie von den Programmaussagen zu den großen Zentren?

Häußermann:
Es wird von einer lebenswerten Stadt gesprochen, zunächst vom historischen Zentrum, und dann kommt plötzlich die City-West. Wenn man die Politiker in Berlin oder sonstige Eliten hört, dann sagen die meisten, Berlin soll in Zukunft wieder so werden, wie es einmal war: Metropole, Mittelpunkt usw. Wenn man sich ansieht, was Berlin in den 1920er Jahren und bis in die 1930er hinein war, dann war es tatsächlich eine außergewöhnliche Großstadt mit einer ungewöhnlichen Modernität. Dafür war es auch berühmt. Das bezog sich aber auf die City, auf die ungewöhnliche Innenstadt, die Berlin hatte, nicht eine reine Büro- und Einkaufs-City, sondern eine sehr vielfältig gemischte Stadt, die sich mit einer unglaublichen Aktivitätsdichte rund um die Uhr überlagert hat. In der Friedrichstraße, Behrenstraße, Jägerstraße usw. waren tagsüber die Banker und teilweise die Politiker unterwegs, abends lebten die Cafés und Varietés auf, und nachts gab es wieder andere Aktivitäten, Tanzlokale und Prostitution, bevor morgens wieder das normale Geschäftsleben begann. Das schuf Bilder einer urbanen Vitalität, wie man sie kaum aus einer anderen Stadt kennt. Sie sind nur möglich, wenn es in einer Stadt ein vielfältig genutztes und besetztes Zentrum gibt.

In Berlin haben wir seit 1990 eine ökonomische Stagnation, Abbau von Arbeitsplätzen, inzwischen auch einen Rückgang der Bevölkerung. Und was macht die Stadtpolitik? Sie sagt, wir brauchen nicht nur ein, sondern sogar zwei Zentren! Wir haben weniger Aktivitäten, aber wir brauchen zwei Zentren, anstatt das eine wieder herzustellen. Niemand kann so richtig sagen, wohin der Ausbau einer ‚City-West‘ eigentlich führen soll. Sie hat durch die Vereinigung ihre Funktion verloren, nämlich das, was durch den Mauerabschluss nicht mehr da war, zu gewährleisten. Aber nun, nach dem Fall der Mauer? Dass die Immobilienbesitzer und die West-Berliner Mittelständler und Rechtsanwälte, die dort ihre Büros haben, unter dem Bedeutungsverlust leiden, ist klar. Aber wer kann erklären, warum dieses urbane Gebiet in seiner städtebaulichen Qualität durch Hochhäuser zerstört werden muss? Warum muss die einmalige Qualität der ‚Charlottenburger Mischung‘, die Mischung aus Wohnen, Läden und Gastronomie in einer sehr angenehmen baulichen Umgebung am Kurfürstendamm und seinen Seitenstraßen kaputtgemacht werden? Da steht nun im Programm: "Das für die Stadt so bedeutende Quartier muss vor einem Bedeutungsverlust bewahrt werden." Warum ist das Quartier für die Stadt denn so bedeutend? Viele Leute leben dort gerne und gehen gerne dort hin. Aber haben Sie einen solchen Satz schon einmal gelesen über Pankow oder Köpenick?

Planungsrundschau:
Es ist sicher eine Erinnerung an die Vorkriegszeit mit dem Romanischen Café usw., die da mitspielt.

Häußermann:
Das war aber doch gerade das Gegenteil von Hochhäusern, es war ein Konsum- und Flaneurparadies, und nicht das, was jetzt daraus gemacht werden soll. Das sind Rülpser einer West-Berliner Kultur, die den Bedeutungsverlust vor Augen sieht und schreit: bei uns darf sich nichts verändern.

Planungsrundschau:
Der Umbau um den Breitscheidplatz ist planerisch schon ziemlich weit. Was würden Sie unter den gegeben Umständen der Politik empfehlen, um die Ansprüche an dieses Quartier aufrecht zu erhalten und dennoch die Geschäftsleute zu befrieden?

Häußermann:
Ich denke, das ist gelaufen. Wenn es sogar in der Regierungserklärung steht... Das sind Initiativen, die vom West-Berliner Mittelstand ausgehen, und der regiert ja die Stadt. Auch am Kurfürstendamm haben sich inzwischen internationale Investoren eingekauft, die die Mietpreise so beeinflussen, dass sich z.B. die altmütterlichen Cafés nicht mehr halten können - eine Entwicklung, die man im Osten seit 1990 überall beobachten konnte, wo sich die Bedingungen für die Nutzung der Stadt also radikal verändert haben. Und wenn das Café Möhring schließen soll, dann ruft die CDU nach einem Runden Tisch. Das ist doch wirklich zynisch, dafür diesen Begriff zu benutzen. Alles soll sich ändern, aber unser lieber Kudamm nicht. Die Stadtentwicklungspolitik läuft doch dort nur den Investoreninteressen hinterher, die Aufregung um den Wandel ist gekünstelt und populistisch.

Planungsrundschau:
Berlin ist auf seine Polyzentralität stolz, aber andererseits äußert sie sich in Hochhäusern. Was würden Sie unter den jetzigen Rahmenbedingungen für den gespiegelten Fall des Alexanderplatzes empfehlen?

Häußermann:
Seine Entwicklung ist jetzt definitiv beschlossen, da werden nur noch die Grundstücke ausgetauscht. Es wird in der Bauphase noch schwierig, da der ganze Platz unterhöhlt ist. Aber ansonsten besteht kein Spielraum. Den Platz mit dem gigantomanischen Konzept zu versehen, entspricht angesichts der sonst entstehenden Hochhäuser in Mitte und am Potsdamer Platz nach meiner Einschätzung an dieser Stelle keinem starken Bedarf. Östlich vom Schlossplatz beginnt ja heute eine neue Stadt, die - mit Ausnahme der Spandauer Vorstand - bisher von der Stadtentwicklung noch nicht richtig erreicht worden ist. Das wäre eine Rolle für den Alexanderplatz gewesen, eine Mittlerfunktion zwischen der Ostkultur und der neuen Kultur in der Spandauer Vorstadt einzunehmen. Ich sehe aber nicht, wie das autistische Konzept, das jetzt realisiert werden soll, diese Funktion erfüllen kann. Ohnehin wird die Entwicklung sicher 30 Jahre dauern.

Planungsrundschau:
Haben Sie Anregungen für das Programm der Senatsverwaltung? Welche Akzente würden Sie sich wünschen?

Häußermann:
Ich habe kein detailliertes Konzept, würde mir aber wünschen, dass man sich um die wirkliche Lebensqualität in den Quartieren mehr kümmert. Weil alle immer nur städtebaulich und landschaftsplanerisch denken, haben sie die Nöte der Bewohner selten im Blick, und auch kein Instrumentarium dafür, wie man Quartiere so erhält, dass man dort gerne lebt. Die Entwicklungen, die in den letzten zehn Jahren vor sich gegangen sind, also stärkere soziale Unterschiede, stärkere Armut, größere Aggressivität im Zusammenleben, schlägt durch auf die Lebensqualität vor allem in den innerstädtischen Quartieren, wo es zum Teil wirklich ungemütlich wird, weil die sozialen Probleme in der Stadt zunehmen. Das merkt man aber nicht überall, weil die räumliche Verteilung nicht gleichmäßig ist. In der Innenstadt wachsen die Probleme überproportional, so dass viele Menschen mit Abwanderung reagieren. Dafür hat bisher niemand ein richtiges Auge oder gar ein Konzept. Ein solches würde ich für sehr wichtig halten. Der Begriff dafür müsste ein neuer Integrationsmodus für die Stadt sein. Man kann nicht zulassen, dass die Hunde die Straße beherrschen und Kinder sich da nicht mehr aufhalten können. Die Konflikte, die alle bekannt sind und tagtäglich von den Menschen ohnmächtig erlebt werden, die müssten ein Thema der Stadtentwicklung sein - nicht in einer Politik von oben, sondern in Selbstverständigungs- oder Dialogprozessen. Das stirbt zur Zeit, und damit die Kultur der Stadt. Ich sehe das mit großer Sorge.

Dr. Hartmut Häußermann ist Professor für Stadtsoziologie an der Humboldt-Universität Berlin.

Interview: Uwe Altrock

 

"Ich war schon überrascht über die Gewichtung der Themen"
Gespräch mit Prof. Dr. Dietrich Henckel

Planungsrundschau:
Wie sind die Chancen und Gefahren der Bildung des neuen Superressorts für Stadtentwicklung einzuschätzen?

Henckel:
Das ist sehr schwer zu beurteilen, denn das Superressort bietet auf der einen Seite viele Chancen, da es ein paar Dinge zusammen bindet, die in der Stadtentwicklung zusammengehören bzw. zusammengehören sollten. Es gab schließlich in der Stadtentwicklung immer lange Debatten, dass dieses Zusammenbinden eigentlich schon lange fällig gewesen wäre. Das Gegeneinanderarbeiten zwischen der Senatsverwaltung für Bauen und Wohnen und der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung war ja oft ziemlich fruchtlos und hatte eine sehr lange Tradition. Andererseits ist die Frage, ob es gelingen wird, aus dieser langen Tradition des Gegeneinanderarbeitens jetzt kurzfristig ein konstruktives Klima des Gemeinsamen und Koordinierten erwachsen zu lassen. Chancen bestehen sicherlich. Die Frage ist jetzt, ob man diesen großen Verein auch noch clever koordinieren kann. Dafür benötigt man vor allem eine sehr geschickte, koordinierende und mitreißende Spitze.

Planungsrundschau:
Wie beurteilen Sie die niedergelegte Strategie? Was sind vielversprechende und bedrohliche Impulse im Programm der Senatsverwaltung? Welche Themen fehlen oder sind unterrepräsentiert?

Henckel:
Ich war schon überrascht über die Gewichtung der Themen. Im Grunde sind es die klassischen Bauthemen, die angesprochen werden: Wohnen, Architektur etc.. So sind z.B. Standorte wie Molkenmarkt, Spittelmarkt etc. bis in alle Einzelheiten formuliert. Hingegen gibt es eine ganze Reihe von Themen, die überhaupt nicht auftauchen, z.B. das Stadt-Umland-Verhältnis oder das Thema "Freizeit", und es ist nicht so, dass zu diesen Themen die Verwaltung nichts zu sagen hätte. Gerade zu den zuletzt genannten gibt es schließlich einige Untersuchungen, und es fällt einfach auf, dass dazu in der Presseerklärung nichts strategisches formuliert wurde. Noch gravierender fällt auf, dass zu dem ganzen Thema: Wirtschaft- und Gewerbeentwicklung in keinerlei Richtung irgend etwas gesagt wurde. So gibt es keine Aussagen z.B. zu Büroflächen, Gewerbeflächen usw. Es gab ja schon im alten Stadtentwicklungssenat intensive konflikthafte Auseinandersetzungen zwischen den "Stadtentwicklern" und den "Wirtschaftlern", so z.B. zum Thema Industrieflächensicherungskonzept und dessen Weiterentwicklung. Zu all diesen Themen wurde nichts gesagt, was ich sehr auffällig finde.

Planungsrundschau:
Könnte dies an der Schwerpunktsetzung der einzelnen Entscheidungsträger liegen?

Henckel:
Ich vermute hier einen Zusammenhang. Wenn man sich die einzelnen Standorte durchliest, dann sieht man klar Stimmanns Handschrift. Es liest sich ein bißchen wie das Planwerk Innenstadt, alles andere ist nur Beiwerk, zu dem aber noch viel mehr gehört hätte. Ich finde es beunruhigend, dass das fehlt.

Planungsrundschau:
Wie sollten im Verhältnis zur Landespolitik insgesamt die Akzente und Rahmenbedingungen verändert werden, um die Stadtentwicklungspolitik verändern zu können?

Henckel:
Da man nicht weiß, ob dieses Papier nur für die Pressekonferenz ist, was davon tatsächlich der Schwerpunkt des Konzepts für die nächsten Jahre ist und ob die von mir angeführten Punkte unter den Schwerpunkten sein werden, kann man das schwer beantworten. Aber wenn ich davon ausgehe, dass dieses Papier auch tatsächlich das zukünftige Arbeitsprogramm darstellt, dann würde ich sagen, dass in beunruhigender Weise die schon genannten Aspekte fehlen. Das Einzige, was in dieser Richtung formuliert ist, ist die Entwicklung des Stadtteils "Buch". Da hat man allerdings auch wieder einige Koordinationsprobleme, da man hier auf die Zusammenarbeit mit der Wissenschaftsverwaltung und dem Finanzsenator angewiesen ist.

Planungsrundschau:
Inwiefern reagiert das Programm angemessen auf gesellschaftliche Trends? Nehmen wir z.B. das Projekt "Soziale Stadt". Der integrierte Ansatz ist unumstritten richtig. Die Frage ist doch aber, ob es sich bei der Umsetzung in Berlin im Kern nicht letztlich nur um eine Legitimationspolitik handelt.

Henckel:
Das kann sein. Da muss ich aber gestehen, dass ich die Umsetzung beispielsweise im Bereich Quartiersmanagement nur sehr sporadisch verfolgt habe. Der Erfolg wird hier zu einem großen Teil an den Fähigkeiten der beteiligten Personen liegen. Unsere gutachterlichen Erfahrungen bestätigen dies auch für andere Themen. Selbst unter strukturell ungünstigen Bedingungen können Projekte mit geeigneten Personen sehr erfolgreich sein, wenn sie mieinander auskommen, eine Vorstellung davon haben, was sie wollen und wissen, wie etwas auf die Beine gestellt werden kann – und umgekehrt.

Planungsrundschau:
Wenn man diese Grundeinschätzung jetzt noch auf die Berliner Politik bezieht...

Henckel:
... dann ist es seit Jahren das Problem in Berlin, dass die Koordination und Kooperation ausgesprochen schwierig ist. Die verschiedenen Senatsverwaltungen haben in der Regel sehr heftig gegeneinander gearbeitet. Nehmen Sie beispielsweise die "Berlin-Studie": Sie wurde in großen Teilen von der EU finanziert und sollte alle wesentliche Politikbereiche der Stadt untersuchen. Letztlich sollte eine Handlungsperspektive für die Stadt entwickelt werden. Manchmal hat man bei der Berliner Politik den Eindruck, es ist so ein hochaustariertes Blockade-Mobile. Man hätte die Studie dahingehend anlegen können, dass genau da Wind hineingebracht wird, aber es wurden auch immer gleich Paravents aufgestellt, um den Wind wieder abzufangen. Dies wurde dann auch in den halb-öffentlichen Sitzungen zur Berlin-Studie deutlich. Wie die einzelnen Verwaltungen wieder auf ihrem Zeug herumgeritten sind, das war unglaublich schwierig. Die Gutachter haben das vergleichsweise noch ganz gut gemeistert. Die Frage ist nun, was machen die eigentlich mit diesen Konzeptionen und Überlegungen. Ich habe lange nichts zu dem Thema gehört und veröffentlicht ist auch noch nichts. Was für mich auch immer wieder bemerkenswert ist: Es ist ein Spezifikum von Stadtstaaten und den verschiedenen Ebenen, die damit verbunden sind, dass die Koordination zwischen verschiedenen Politikbereichen besonders schwierig ist. Beispielsweise habe ich den Eindruck, dass all dies in einer Stadt wie München vergleichsweise besser funktioniert. Aber es ist in so einer großen Verwaltung wie der von Berlin wirklich schwierig, weil zwangsläufig unterschiedliche Interessen da sind und es eines hohen gemeinsamen politischen Willens bedarf, um da wirklich Gemeinsames in die Wege leiten zu wollen. Und bei der Großen Koalition ist die Frage, ob dieser gemeinsame Wille immer vorhanden ist.

Planungsrundschau:
Wie schätzen sie denn abschließend die Umsetzungschancen der niedergelegten Strategie ein?

Henckel:
Viel davon hängt natürlich letztlich am Geld. Dies gilt im Grunde für alle Teilbereiche des Programms. Das, was z.B. im Zusammenhang mit dem ÖPNV formuliert wurde, sind uralte Geschichten, die man schon lange, lange hätte umsetzen können, und das nicht nur wegen der finanziellen Situation. Die Frage ist jetzt: Wer steht wofür? Ist durch die Integration von Stadtentwicklung und Verkehr, durch die Zusammenlegung der Ressorts, eine bessere Abstimmung möglich? Es gibt ja durchaus auch personelle Veränderungen, die dazu geführt haben, dass Leute aus dem einen Bereich in den anderen gegangen sind. Dies könnte dazu führen, dass sich wirklich etwas verändert. Das kann ich jetzt noch nicht beurteilen. Das Kernproblem werden auch in Zukunft mit Sicherheit die Finanzen sein. Dabei lautet die wesentliche Frage, wie man strukturelles Sparen politisch durchsetzen kann. Strukturelles Sparen hieße ja: "Ihr kriegt das, ihr behaltet das und ihr kriegt sogar noch mehr und ihr geht wirklich den Bach runter". Eine solche Politik ist aber offenbar im Moment nicht durchzusetzen. Anstatt dessen finden diese Rasenmäher-Methoden statt. Strukturelles Sparen setzt aber eine eindeutige Konzeption voraus, die auch rigoros durchgesetzt und verkauft wird. Ich bin z.B. der Meinung, dass an den Hochschulen unheimlich viel gespart werden könnte. Da passiert eine unheimliche Verschwendung von Ressourcen. Eine Rationalisierung an den Hochschulen setzt aber Dinge voraus, die in diesem Hochschulsystem relativ schwer umzusetzen sind. Sie würde einen Abbau von Privilegien, Professoren und vielem anderem mehr bedeuten. Auf der anderen Seite halte ich es für eine Fehlentscheidung, die Studentenzahlen um ein Drittel zurückzufahren. Was hat die Stadt anderes zu bieten außer diesem Produktionsfaktor und diesen Produktivkräften? Eine Investition in die Hochschulen zahlt sich nicht unmittelbar aus und kostet jetzt v.a. Geld, hat aber langfristige Wirkungen. Wenn man mich jetzt allerdings fragen würde, wo das Geld dafür eigentlich herkommen sollte, dann wüßte ich das auf Anhieb auch nicht zu sagen.

 

Dr. Dietrich Henckel ist Gastprofessor für Stadt- und Regionalökonomie am Institut für Stadt- und Regionalplanung der TU Berlin und leitender Mitarbeiter am Deutschen Institut für Urbanistik.

Interview: Juliane Martinius

 

 

"Die Richtung stimmt"
Gespräch mit Prof. Dr. Uwe-Jens Walther

Planungsrundschau:
Können Sie das Programm eingangs zunächst allgemein beurteilen?

Walther:
Die Richtung stimmt. Es ist nicht einfach ein modisches Programm. Dafür hat es zu sehr Hand und Fuß und lebt erkennbar aus der Erfahrung der letzten zehn Jahre.

Planungsrundschau:
Wo wären Ansatzpunkte gegen das politische Grundproblem der kurzfristigen Orientierung auf schnelle Erfolge?

Walther:
Etwa am Beispiel sozialorientierte Stadtentwicklung: Ein Ansatzpunkt wird bereits ausgebaut - die Umschichtung der investiven Mittel in das Quartiersmanagement, damit dort mehr Geld zur Verfügung steht. In diesem Bereich könnte man weitermachen: was die Vertragsgestaltung betrifft, sollte im Übrigen - wie das beispielsweise bei der sog. Advokatenplanung in Hannover schon in den 1970er Jahren geschehen ist und jetzt dort wieder geschieht - dem Quartiersmanagement freiere Hand gegeben werden. Quartiersmanager sind ja nur Vertreter von jemand, und Bürger vor Ort lassen sich nicht gern managen. Nicht daß die jetzt planen sollen, aber der alte Grundgedanke des Advokatencharakters mit Umverteilung der Planungskapazität zu denen, die normalerweise nicht Stimme haben, der ist aktueller denn je. Das kann man über Verträge regeln.

Wenn man die Akteure, die Netzwerke vor Ort stärken will, dann muß man das so machen. Netzwerke kann man nur sehr bedingt managen. Die Bevölkerung im Viertel will nicht "gemanaged" werden. Ihnen muss man ein Stück weit Geld, Recht und Information geben, damit sie das selbst tun können. Und dann muß man damit rechnen, daß es einmal auch nicht funktioniert, das ist einfach so. Nur so kann man die Potentiale heben. Wenn man zu ängstlich auf die Zeithorizonte guckt, dann erstickt man vielleicht etwas, was da gerade keimt.

Planungsrundschau:
Was würden Sie für das Verhältnis von Quartiersmanagement und Bezirk empfehlen?

Walther:
Im Hannoveraner Beispiel ist es zwischen Bürgervertretung und Beiräten meines Wissens noch nie zu einer Entscheidung gegen die Bürgermeinung gekommen ist. Es ist ein stillschweigender Konsens, und das liegt an der Hannoveraner Konstruktion, die vielleicht ein bißchen kompliziert sein mag, aber vom Ergebnis her immer wieder überzeugt. Da ist dieser Versuch erfolgreich gemacht. Aber er läuft auch nur erfolgreich, weil immer wieder jemand die Politikfähigkeit der Betroffenen vor Ort, wo es nötig ist, herstellt und unterstützt. Und das ist ein Selbständiger, der arbeitet zwar im Auftrag, aber autonom.

Planungsrundschau:
Im Programm wird erwähnt, daß es noch weitere Quartiersmanagementgebiete geben soll. Welche Gebietskulisse sollte das Instrument zwischen flächendeckend und ganz punktuell haben?

Walther:
Der Ansatz besteht darin, Problemgebiete zu identifizieren und dann zu bündeln. Das sind in der Regel die Gebiete, in denen die klassischen Investitions-Anreizstrategien nicht greifen. Wenn man das flächendeckend macht, ist dieser Effekt wieder weg. Also nicht flächendeckend! Die Problemlagen und Kulissen sind doch sehr unterschiedlich wie die Herangehensweisen: Wenn Sie sich ansehen, was vor dem Quartiersmanagement schon entstanden ist, z.B. bei der Stadt und Land und dem Gebiet Rollberge, und was jetzt weiterentwickelt wird, dann kann man schnell begreifen, daß es jeweils eine eigene organisatorische Form finden muß, und daß da wenig 1:1 übertragbar ist. Insofern wäre es sogar falsch, eine Gebietskulisse aus der Retorte zu entwickeln. Hinzu kommen die sehr unterschiedlichen Prognosen, die die Gebiete haben.

Ansonsten: Der Informationsaustausch zwischen den verschiedenen Quartiersmanagements kann nicht genug ausgebaut werden. Mein Eindruck: hier sind Verbesserungen möglich – und werden wohl auch in Angriff genommen. Auch das muß man aber finanziell unterstützen. Wenn man das fünf bis zehn Jahre gemacht hat, dann kann man vielleicht auf der Ebene der "good practices" typisieren. Man kann sich dann daran orientieren, muß es aber nicht. Jetzt müssen sich die verschiedenen Ansätze erst zurechtschütteln. Die Politik muß aushalten lernen, daß es sich noch um eine Findungsphase handelt, deren Ausgang noch nicht abzusehen ist. Hier werden letztlich auch neue Muster der staatlichen Regulierung irgendwo in dem Bereich zwischen dem starken und dem minimalen Staat, dem verteilenden und dem moderierenden Staat erprobt! Auch unter diesem Gesichtspunkt ist eine Evaluation wichtig: welche Regulierungsformen haben sich eigentlich bewährt sich in welchem Problemzusammenhang?

Planungsrundschau:
Was halten Sie von dem Hinweis im Programm auf die Bürgergesellschaft? Paßt das zusammen mit den übrigen Schwerpunkten?

Walther:
Den Hinweis könnte man auch symptomatisch dafür nehmen, daß sich Politik zurücknimmt und sagt, wir können nicht so viel machen, wie wir bisher glaubten. Das finde ich zu sehr zurückgenommen. Politik muß sich fragen, wie kann man Leute, die sich nicht selbst helfen können, dazu befähigen. Man muß auch skeptisch fragen, wer sind denn überhaupt noch die Träger von Stadtgesellschaft? Die diejenigen, die sie bisher getragen haben, sind eher flüchtig, sie fliehen die Stadt im Sinne von Stadtflucht oder im Sinne von Verantwortung für die Stadt; die Singles in der Stadt sind sozusagen immateriell flüchtig - sie identifizieren sich nicht, so weit, wie sie könnten. Die Politik müßte sich bei jeder Planungsaufgabe die Frage stellen: wer hat an der jeweiligen Sache ein Interesse, und das heißt nicht nur ein geldwertes Interesse, sondern in seinem Alltag. Meint ja der Begriff des "stakeholders". Die Phantasie dazu muß jede Fachplanung aufbringen, wer die stakeholder sind. Ich vermisse hier im Programm die Neugier und das Interesse, soloche latenten Interessen zu mobilisieren. Wenn man bei Planungsfragen nicht jeweils neu mobilisiert, als Anlässe dazu, daß sich Stadtgesellschaft jeweils neu konstituiert, auch da, wo gestritten wird - gerade dort! - dann ist das schade. Ein offensiverer Ansatz ist ja auch in Berlin nicht unbekannt. Man könnte in Berlin mehr mit den Pfunden an Erfahrungswissen wuchern, die man hat.

Planungsrundschau:
Was halten Sie von der Aufhebung der Belegungsbindung im sozialen Wohnungsbau?

Walther:
Meine Reaktion darauf ist ein ‚ja, aber‘: sie mag ja im einzelnen kleinräumig begründbar sein, um die soziale Zusammensetzung zu verändern. Aber muß man das wirklich überall machen, ohne auch nur einen Gedanken an Folgen und Ausgleich zu verwenden? Wissen wir nicht inzwischen zu gut, dass die Aufhebung von Belegungsbindungen am einen Ort ohne Ausgleich an anderem Ort zu schaffen, sehr problematische Auswirkungen hatte? Auch die in der Reform des Wohnungsbaurechts diskutierte Wendung zu anderen Vertragsregelungen wird dieses grosse Defizit an sozial gebundenem Wohnraum zahlenmässig wohl kaum kompensieren können. Sollte man nicht sehr gründlich die Folgen evaluieren, bevor man in die großen Zahlen geht? Darüber würde man gerne mehr wissen. Warum ist hier nicht von Evaluation die Rede wie sonst im Programm an verschiedenen Stellen? Darüber hinaus vermisse ich den Bezug zu Mietobergrenzen. Das, was die Bezirke jeweils machen, müßte vom Senat mit einbezogen werden. Das ist zwar ein ganz schwieriges Thema, und trotz der Probleme aus Sicht der Eigentümer wird das politisch gemacht. Man müßte also auch als Senat stärker darauf eingehen.

Planungsrundschau:
Was halten Sie vom Platzprogramm?

Walther:
Das Platzprogramm ist wichtig. Plätze sind ja nicht nur die Visitenkarte eines Viertels nach außen. Wer die Stadt als Neu-Berliner kennen lernt wie ich derzeit, merkt sofort, welche symbolische Wichtigkeit die Plätze auch für die Bewohner selbst – also nach innen - haben. Nicht umsonst tragen die Kieze in Berlin häufig den Namen ihres Platzes. Ich finde den Ansatz richtig. Es wird sicher auch Überschneidungen und Bündelungseffekte mit dem Programm soziale Stadt geben. Es ist auch sinnvoll, daß hier Konflikte angegangen werden, wie beispielsweise zwischen den verschiedenen NutzerInnengruppen auf einem Platz. Das ist knochenharte Arbeit wie beim Konflikt zwischen Hundebesitzern und Eltern und anderen Menschen um die Abgrenzung der gemeinsam zu nutzenden Freiräume. Man kann über Pflanzaktionen und Vergleichbares durchaus das Nachdenken darüber anregen. Hier geht es – planerisch gesehen - nicht nur um die städtische Hardware, sondern wirklich auch um die "Software" des Umgangs miteinander , also um die Menschen vor Ort und welche Beziehungen sie untereinander unterhalten, wie sie miteinander umgehen. Die Daueraufgabe der Wartung der Stadtstruktur – das, was wir spätestens in den 80er Jahren gelernt haben, ist nicht nur ein professionelles Problem einer planenden Zunft, sondern auch der Menschen, die sie mit betreiben und mit umsetzen. Ich vermisse dieses Bewusstsein im Programm, was zum Thema Quartiersmanagement ja durchaus vorhanden ist. Ansonsten ist im Programm hauptsächlich von technischen Fragen die Rede.

Planungsrundschau:
Was denken Sie über die genannten Stichworte zur Verkehrspolitik?

Walther:
Ich bin kein Verkehrsplaner. Aber eine ganz schlichte Beobachtung: Ich finde es zunächst einmal positiv, daß alle Verkehrsteilnehmer genannt werden, bis hin zu den Fußgängern. Das ist nicht selbstverständlich. Gerade an Alltagsfragen muß sich solch ein Programm auch messen lassen. Ein Beispiel ist die so banal erscheinende Fragen wie den Ampellaufzeiten. Wie lange hat man Zeit um über die Strasse zu kommen? Nicht nur für ältere Leute oder Kinder können zu kurze Zeiten zuweilen zur Schikane auswachsen. So erleben sie es zumindest subjektiv. Hier geht es auch Gebrauchswertqualitäten von Stadt! Von daher ist es zu begrüßen, daß auch solche Bereiche thematisiert werden, gerade in einer Zeit, wo Politik vor der Schwierigkeit steht, immer stärker auseinanderfallende Partikularinteressen zu organisieren. Eine hier angedeutete zielgruppenorientierte Politik würde ich mir auch in anderen Bereichen wünschen, wie im Falle des ÖPNV bei der Gestaltung von Umsteigeknoten. Wenn Sie einmal überlegen, wie die großen Umsteigeknoten ausgestaltet sind, da liegen ja beim Umsteigen Hindernisse noch und nöcher, die sich auch auf den Modal Split auswirken.

 

Dr. Uwe-Jens Walther ist Professor für Stadt- und Regionalsoziologie am Institut für Sozialwissenschaften der TU Berlin.

Interview: Uwe Altrock