Uwe Altrock

Die andere Art der städtischen Spaltung – Wie die Eröffnung des Sony-Centers Fachleuten zu denken gibt

1. Einführung

Zwei Teenager lustwandeln am Sandstrand unter Palmen und geben sich im Angesicht der hinter der Meeresbucht aufragenden Skyline von Tokio ihren ersten verschämten Kuß. Atemberaubend liegt vor ihnen die Hängebrücke, die die Metropole mit der Vorstadt verbindet. Ausgebrochen aus der hektischen Enge der Stadt sind sie auf ein Eiland der scheinbaren Erfüllung aller ihrer Wünsche geflohen. Auf dem aufgeschütteten ehemaligen Hafengelände haben sich bereits Fuji TV mit einem futuristischen Stahlpalast und einer an das Atomium erinnernden Aussichtskuppel sowie der Entertainmentkonzern Sega angesiedelt, der in einer Spielhalle Megaversionen seiner Spielkonsolen mit lebensechten Szenarien betreibt. Da kann auch der Konkurrent Sony nicht fehlen und setzt direkt an die Uferkante einen gedrungenen, farbenfrohen Bau, in dem sich die kleinen und großen Kinder in der Harmonie ihrer Freizeit neben Walkman und Co. auch an die übrigen Produkte des Unterhaltungsgiganten wie an den watschelnden Roboterwauwau Aibo gewöhnen dürfen. Und da es in der Stadt kaum Parks gibt, schüttet Sony gleich noch einen Sandstrand auf und schafft eine „Rendezvousatmosphäre" auf seinem privaten Territorium, auf daß der Teenager mit seinem ersten Kuß sogleich den zweiten durch die blühende Produktwelt des Sony-Konzerns erhalte, Zeit seines Lebens mit positiven Erinnerungen an den scheinbar uneigennützigen Gönner zurückdenke und so munter und treu dessen Produkte konsumiere.

Diese auf einer Tagung des Fachgebiets Architektursoziologie an der TU Berlin anläßlich der Eröffnung des Sony-Centers in Berlin von Frank Roost nüchtern analysierten weltweiten Trends im Unterhaltungssektor rauben den Atem oder machen auch nur kichern. Einer der Experten im Saal läßt sich in einer spontanen Reaktion zu dem Etikett „Apokalypse" hinreißen. Doch keineswegs ist dieser Aufschrei in der inzwischen „Big-Brother"-geschulten Soziologen-, Planer- und Architektenszene allgemein. Vielmehr verwischen sich auf ungeahnte Weise die Fronten zwischen den „Rettern des öffentlichen Raums" und vorsichtigeren Kommentaren, so daß eine überraschend unideologische, wenngleich geradezu verunsicherte Debatte über das Berliner Sony-Center und seine Schwestern, die Urban Entertainment Center (UEC) der Konzerne Disney und Time Warner, losbricht.

2. Die Karawane zieht weiter - was wird aus der Stadt?

Ulrich Hatzfeld, als Mitarbeiter des nordrhein-westfälischen Stadtentwicklungsministeriums Vertreter der Planer im Feld der geladenen Experten, macht unmißverständlich auf die planerischen Probleme aufmerksam, die von den wie Pilze nach einem Sommerregen in den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts aus dem Boden geschossenen Multiplex-Kinos, Großdiscos, Freizeitparks, Shopping Malls, Spaßbädern, Musicaltheatern und anderen Freizeitgroßeinrichtungen ausgehen. Die sich zu sogenannten Urban Entertainment Centers ballenden Ungetüme haben ausgehend von den USA inzwischen ihren Weg nach Europa gefunden. Nicht zuletzt seit dem Megaprojekt „Eurodisney" südlich von Paris stürzen sich die Betreiber auf die Ballungsräume des Kontinents. Wegen ihrer Bevölkerungsdichte gelten diese als risikoarme Pionierräume für eine Übertragung der in den USA bereits seit mehreren Jahrzehnten erfolgreichen und seit dem Bau von „Disneyland" in den 1950er Jahren in Anaheim bei Los Angeles vielfältig weiterentwickelten Konzepte. Doch keineswegs ist dabei allen Centers schneller wirtschaftlicher Erfolg beschieden. Finanzierungsmodelle und Betreiberspektrum sorgen dafür, daß zwar viele - Bauunternehmer, Planer, Banken - an der Entwicklung eines UEC verdienen, doch häufig gelingt es erst dem dritten Betreiber, das Center nach zwei vorausgehenden Pleiten leidlich in die schwarzen Zahlen zu führen. „Die Betreiber können nichts, und zuweilen muß die öffentliche Hand ihnen noch vorrechnen, wie ihr Projekt wirtschaftlich werden könnte", so Hatzfeld. Dennoch hat sich inzwischen in Nordrhein-Westfalen unter dem Flagschiff „CentrO", der riesigen Shopping Mall mit Freizeiteinrichtungen in der neuen Mitte Oberhausens, eine breite Palette von UEC entwickelt, so daß angesichts der Städtekonkurrenz um erhoffte Arbeitsplätze eine Verhinderungsstrategie ausgeschlossen scheint. „Deshalb müssen wir die Urban Entertainment Centers gestalten, das ist die eigentliche Aufgabe der Planer". Doch längst nicht überall habe dieses Selbstverständnis der Planer zu einem auch nur entfernt mit dem CentrO vergleichbaren Erfolg geführt, wo es einer offensichtlich unter dem wirtschaftlichen Strukturwandel leidenden Ruhrgebietsstadt mit einem 15 Jahre brachliegenden ehemaligen Stahlwerksgelände im Herzen der Stadt gelungen ist, einen florierenden Brennpunkt mit Einzugsgebiet bis weit in die Niederlande zu schaffen, der tatsächlich so etwas wie eine neue Mitte zu werden scheint. Vor allem die kurzen Investitionszyklen machen der Planung zu schaffen. Der Betreiber einer Großdisco beispielsweise finanziert im ersten Jahr Bau und Einrichtung, macht im zweiten Jahr richtig Geld und muß im dritten Jahr genügend Reserven ansparen, um der gesättigten Spaßgesellschaft einen neuen In-Place anbieten zu können, wenn sie des alten Orts bereits überdrüssig geworden sind. Die Karawane zieht weiter, zurück bleibt die erloschene bauliche Hülle des einstigen Kult-Tempels. Dann jedoch macht sich für die Stadt der Kater breit: Die eigens errichteten Gebäude bleiben zurück und sind kaum umnutzbar. Was kann man mit brachgefallenen Musical-Theatern und Spaßbädern anfangen? Für den Planer ist es deshalb von besonderer Bedeutung, UEC auf besonders begehrte, möglichst innerstädtische Standorte zu lenken: „Dann besteht wenigstens die Möglichkeit, daß ein Gebäude auch noch einmal abgerissen wird, weil der Nutzungsdruck auf wertvollen Standorten hoch ist", meint Hatzfeld. Für die Stadt besteht die Chance eines Neuanfangs, und dafür erhofft sich Hatzfeld Unterstützung durch auf einige Jahre befristete Baugenehmigungen, so daß Städte bei einer Diskussion um Nachnutzungen überhaupt noch eine realistische Chance haben, Einfluß auf den Eigentümer zu nehmen. Doch im Lager der Gesetzgeber stößt seine Idee bisher noch auf keine Gegenliebe. Deshalb gewinnt die Gestaltung eines jeden einzelnen Projekts an Bedeutung. In der Erzwingung von Öffentlichkeit besteht laut Hatzfeld die einzige realistische Chance des Umgangs mit UEC - und zwar sowohl im Hinblick auf einen öffentlichen Planungsprozeß als auch die Verteidigung und Schaffung von öffentlichen Räumen bei einem und um ein UEC.

3. Das Sony-Center - Einfallstor der Globalisierung oder „Tor der Einfälle"?

Mit dieser pragmatischen Haltung erregt Hatzfeld unter Stadtsoziologen sofort Widerspruch, die sich nicht damit zufrieden geben wollen, jedes Projekt nur ein bißchen zu qualifizieren. Doch hier ist die versammelte Expertenschar inzwischen weiter, gibt sich nicht mehr mit der gebetsmühlenartigen Anprangerung der Privatisierung von öffentlichem Raum zufrieden. Zwar stellt Uwe Rada von der „tageszeitung" ein weiteres Mal einen engen Zusammenhang zwischen politisch-publizistischem Kriminalitätsdiskurs, Deregulierungstrend und der Schaffung abgeschirmter privater Exklaven in der Stadt heraus. Erst das Leben in der wattierten künstlichen Idylle der „gated community" führe offenbar zu einer Rückbildung des menschlichen Immunsystems gegenüber der Vielfalt des gesellschaftlichen Alltags und löse den Ruf nach einer vermeintlichen Sterilisierung auch des öffentlichen Raums durch Verdrängung mißliebiger und schließlich als bedrohlich empfundener Elemente aus - mit dem bekannten Resultat einer bloßen Entfernung von Obdachlosen, Alkoholikern usw. aus dem Straßenraum.

Doch die Ausrichtung des öffentlichen Raums nach privatwirtschaftlichen Kriterien kommt noch aus einer ganz anderen Richtung, wie Frank Roost von der TU Berlin deutlich macht. Die von den großen Unterhaltungskonzernen Disney, Time Warner oder Sony geschaffenen Vermarktungsstrategien sind so angelegt, daß ihre Werbung - beispielsweise im Straßenraum - gar nicht mehr als Werbung aufgefaßt wird, da sie die Funktionen Hinweisschild, Ankündigung und Werbetafel in sich vereinigen. Inwieweit sich dieser Trend auch am Sony-Center in Berlin durchsetzen wird, ist noch ungewiß. Und seltsamerweise bleibt die Analyse dieses Berliner Projekts merkwürdig unscharf. Roost weist präzise nach, wie sich für die großen Unterhaltungskonzerne auch die Realisierung scheinbar verschwenderisch angelegter Schautempel lohnt. Selbst in Berlin sind dafür bereits Beispiele zu erkennen. Sogenannte „Corporate Image Center" (CIC) wie das neue Lindencorso an der prominenten Ecke Unter den Linden / Friedrichstraße dienen den Konzernen - hier der VW-Gruppe - zur Präsentation ihrer gesamten Produktpalette in einer Gesamtinszenierung, die darauf angelegt ist, Kundenloyalität zu schaffen. Verdient wird dann anderswo, während das CIC scheinbar Verluste einfährt. Diese werden dann über die Bereitschaft der Kunden überkompensiert, die Produkte des Konzerns aufgrund ihres positiven Images zu überhöhten Preisen zu erwerben.

Das Sony-Center in Berlin stellt mit seiner Kombination aus Kinos, Filmakademie, Filmmuseum, Themengastronomie, dem Kaisersaal, dem Sony-Schautempel „Music Box", einer Mischung aus Sony-Museum und Merchandising-Outlet, sowie einem Sony-Laden, in dem so wenig gekauft wird wie am Lindencorso, inmitten von gewöhnlichen Bürohäusern eine Kopplung von UEC und CIC dar. Architektonisch ein wenig innovativer Bauchladen von Zitaten der gängigen Architekturauffassungen des ausgehenden 20. Jahrhunderts im kühlen Glas-Stahl-Look, wie Anna Klingmann von der ETH Zürich nachweist, und städtebaulich introvertiert scheint es im Zusammenhang mit dem debis-Komplex nicht einmal mit dem Anspruch derzeitiger Revitalisierungsstrategien für US-amerikanische Innenstädte mithalten zu können, wie Harald Bodenschatz, als Professor für Architektursoziologie an der TU Berlin gewissermaßen Hausherr der Tagung, am Vergleichsbeispiel von Memphis zeigt.

Dort wird ein Patchwork-Ansatz verfolgt, die im Gegensatz zum Potsdamer Platz auf Integration der Einzeprojekte in den Stadtkörper setzt und andere attraktive Orte ergänzt, aber nicht in Konkurrenz zu ihnen tritt. So hat die wiedererweckte „Beale Street", Ende des 19. Jahrhunderts Heimat des Blues und in den 1960er Jahren nurmehr ein Potemkinsches Dorf, inzwischen das vorstädtische Graceland, das dem Erbe des berühmtesten Sohnes der Stadt, Elvis Presley, huldigt, im Hinblickauf die Besucherzahlen überrundet. Graceland war davor hinter dem Kapitol und dem Anwesen von George Washington in Virginia in den USA immerhin an dritter Stelle gelegen. Die im wesentlichen für den regionalen Fremdenverkehr - die Vorstädter wagen sich wieder zurück in die City, um sie zu besuchen - bedeutenden Attraktionen fügen sich um die ehemals als unrettbar verloren geltende Beale Street mit dem Peabody Center, einer großen innerstäditschen Shopping Mall, einem Baseballstadion und einem Menschenrechtsmuseum am Ort des Attentats auf M.L. King zu einem noch unvollständigen, aber bereits vitalen Komplex, dessen Erfolg bereits auch in bescheidenem Maße auf das Investitionsverhalten im Bürodienstleistungs- und Wohnbereich abstrahlt.

In Berlin dagegen lebt der Potsdamer Platz auf Kosten anderer Orte. Dies gilt z.B. für die Filmfestspiele, deren Verlegung von der City-West an den Marlene-Dietrich-Platz von Bodenschatz mit einer Verlegung der Elvis-Tour von Graceland in die City von Memphis vergleicht, die den dortigen vorstädtischen Touristenmagneten auslöschen würde.

Diesen negativen Einschätzungen stellt Peter Brinkemper, Medienkritiker aus Köln, ein positives Szenario der Symbiose von Sony und der Stadt entgegen. Der Unterschied des Sony-Centers beispielsweise zu den von ihm kritisierten global-integrierten Vermarktungsstrategien der Konkurrenten Time Warner und Disney, die die Neue wie die Alte Welt mit einem standardisierten breitenwirksamen und wenig anspruchsvollen Unterhaltungsangebot überziehen, könnte der kulturelle Anspruch von Sony sein, mit dem japanischen Konzern mit einem bis in die klassische Musik reichenden Programm als eine Art „Microsoft der Unterhaltungsindustrie". Die Schlüsselfrage für die Verträglichkeit eines UEC sieht er vor Ort demgemäß über Bodenschatz noch hinausgehend darin, ob es sich nicht nur stadträumlich, sondern insbesondere auch hinsichtlich seiner Planung und des von ihm angebotenen Nutzungsspektrums im politischen Raum ansatzweise partnerschaftlich mit der Stadt, in der es gewissermaßen zu Gast ist, verwirklichen und betreiben läßt. Ob das Sony-Center in diesem Sinne zum „Tor der Einfälle" statt zum „Einfallstor der Globalisierung" werden kann, ist zwar noch ungewiß, doch knüpft es bereits heute beispielsweise mit dem Arsenal-Kino, dem Filmmuseum sowie der Filmakademie an Berliner Wurzeln an.

4. Die verlorene Heimat des Bildungsbürgers

Doch die Verwirrung durch einen überraschenden Frontverlauf zwischen Fachleuten, der sich bereits durch einen Planer angedeutet hat, der den öffentlichen Raum verteidigen will, und einen Medienkritiker, der in der Ansiedlung des Weltkonzerns Sony mehr Hoffnung als die der Stadtpolitiker auf ein paar Arbeitsplätze sieht, wird von Werner Sewing, Architektursoziologe an der TU Berlin, noch auf die Spitze getrieben. Wie immer auf den Knalleffekt des letzten Worts bedacht, führt Sewing auch diesmal seine Vorredner vor und grenzt sich in einem Parforceritt durch die weltweiten Trends des „Architainment" von der bildungsbürgerlich-soziologischen Kritik gleichermaßen wie von den dargestellten planerischen Steuerungsversuchen ab.

Zu Recht macht er auf die begrenzte Bedeutung der Urban Entertainment Centers für die Gesamtstadt aufmerksam, die selbst in Nordrhein-Westfalen das Bild der Stadt nicht beherrschen. Auch und gerade in Berlin ist offenbar niemand auf die Nutzung der entstehenden UEC angewiesen. Auf der anderen Seite entsteht durch die Installation von Kameras im öffentlichen Raum kaum noch ein Aufschrei in der Bevölkerung, und der private Raum wird für den Benutzer durch die Anmietung einer Musikgruppe durch Sony attraktiv gehalten, während noch in den 1960er Jahren Straßenmusikanten durch die Polizei aus dem öffentlichen Raum entfernt wurden - was in München 1964 noch Auslöser der mehrere Tage andauernden „Schwabinger Krawalle" war.

Mit Blick auf die Potsdamer Platz Arkaden verweist Sewing darauf, daß das debis-Areal „ein bißchen Mailand, ein bißchen Uelzen, aber kein bißchen Berlin" biete. Der Erfolg des Projekts liege in der alleinigen Ausrichtung auf den Bürger als Konsumenten und dessen Bedürfnisse. Dort könnte auch das Problem für das Sony-Center liegen, dessen kühle Architektur die „uterale Kuhstallwärme" des debis-Geländes nicht erreiche. Sewing ist zuzustimmen, wenn er kulturkritisch schließt, daß wir als Bürger-Konsumenten gar nichts damit anfangen könnten, wenn wir die verteidigten öffentlichen Räume zu unserer Verfügung erhielten. Doch damit nicht genug der Provokation. Die Stadt Berlin wird nach Sewing nie so gespalten sein, wie dies für die US-amerikanischen Städte mit ihren völlig unterschiedlichen Ausgangsbedingungen gilt. Indiz hierfür ist die Einrichtung des „Quartiersmanagement" durch den Berliner Senat, das „vom Abrutschen bedrohten" Gebieten auf die Füße hilft, und bei deren Besichtigung sich durch Medienberichte aufgeschreckte auswärtige Gäste wundern, daß diese zwar von Armut geprägt sind, daß sie weder Slums noch Ghettos vorfinden. Wenn aber nicht in „Spaltung" oder „Verdrängung" die Gefahr derzeitiger stadtentwicklungspolitischer Trends liegt, dann müsse befürchtet werden, daß die reflexhafte Ablehnung von UEC, Shopping Malls und privatisierten Konsumräumen durch eine Schar von Fachleuten, die die Unfähigkeit der Gesellschaft, öffentliche Räume zu etwas anderem als zum Konsum zu nutzen, in Wirklichkeit lediglich eine Abwehrhaltung des Bildungsbürgers darstelle, der durch die Banalisierung von Schlüsselorten in der Stadt Angst vor dem Verlust seiner eigenen Heimat hat.

5. Planer und Soziologen - traditionelle und neue Muster fachlicher Gespaltenheit

Was will uns Sewing damit sagen? Man fühlt sich erinnert an Sewings richtige Charakterisierung des Hassemerschen Stadtforums als „Höfisches Ritual". Er selbst spielt nun offenbar in der stadtentwicklungspolitischen Debatte den Hofnarren, dessen Bestimmung in der Entlarvung seiner Mitredner besteht, und zwar diesmal nicht nur der Planer, sondern auch der Soziologen. Folgerichtig muß er sich nun gegen den Planer wenden, selbst wenn dieser für eine Verteidigung des öffentlichen Raums eintritt und damit ein zutiefst der Soziologenszene aus der Seele sprechendes Thema aufgreift. Die zutreffende Analyse von der Entwertung des öffentlichen Raums durch die Bewohner selbst wie auch der Hinweis auf die Überzogenheit der Berliner Verdrängungs- und Spaltungsdebatte können nicht darüber hinwegtäuschen, daß Sewing den Bogen überspannt. Weder gab sich früher eine Demonstration der nächsten im öffentlichen Raum die Hand, noch sind diese heute völlig ausgestorben. Auch die temporäre Inszenierung eines höchst „öffentlichen" Ereignisses wie beispielsweise eines Wahlkampfes - übrigens ja heute keineswegs aus dem öffentlichen Raum verschwunden - läßt an der Wertigkeit einer öffentlichen nicht-kommerziellen Nutzung zweifeln, und die Begleiterscheinungen eines angeblich reinen Konsumentenverhaltens, die zufällige Begegnung, die Wahrnehmung städtischer Vielfalt usw. sind demgegenüber auch heute keineswegs bedeutungslos. Vielleicht läßt die Größe der bewirtschafteten Konsumräume sogar irgendwann einen höheren Grad an Subversivität im Nutzungsverhalten zu. Im frühneuzeitlichen England waren, das nur am Rande, in den Menschenaufläufen bei öffentlichen Hinrichtungen Taschendiebe nicht selten, obwohl auf Diebstahl die Todesstrafe stand. Kontrolle und Abschreckung war damals und ist vermutlich auch heute relativ.

Die unterschiedlichen Beiträge der Tagung klären in ihrer Widersprüchlichkeit kaum Positionen, doch würde dies die Möglichkeiten des fachlichen Austauschs auch überfordern. Verwunderlich ist es allerdings, wie gespalten die Fachwelt sich angesichts des scheinbar einfachen Themas präsentiert. Dies gilt sowohl für die Analyse des Gegenstands als auch für die daraus abgeleiteten Handlungsspielräume. Eine Analyse der Architektur und des Städtebaus des Sony-Centers wird nur ansatzweise vorgenommen. Ein Hinweis auf die Tatsache, daß die funktionale Organisation um den Potsdamer Platz den Benutzer so leitet, daß er kaum versucht ist, neben dem Brennpunkt des Geschehens seine Stadt für sich zu entdecken, daß er dort beinahe nur auf abweisende Rückseiten stößt, unterbleibt völlig, während die aus der geringen architektonischen Innovativität abgeleitete Negativbewertung des Sony-Centers abstrakt bleibt und die geringe Aufenthaltsqualität in dem wuchtigen, schummerigen und spröden Innenraum mit überhängenden Gebäudeteilen unter dem Zeltdach mit keinem Wort zur Sprache kommt.

So offenbart die Tagung den Grundwiderspruch zwischen soziologischer Analyse und planerischem Handeln. Sie läßt Verunsicherung zurück, die aber erstaunlicherweise vielfache Spaltungen der Fachwelt offenbart, die sich auch innerhalb der einzelnen Professionen nachweisen lassen. Hinweise für den Umgang mit Urban Entertainment Centers geben neben dem impliziten, aber möglicherweise doch schönfärberischen Szenario Brinkempers lediglich Bodenschatz und Hatzfeld. Ersterer wird als Soziologe erstaunlich planerisch, wenn er - im Gegensatz zur auf den Ort selbst bezogenen Betrachtungsweise Sewings - auf die Folgen für das Nutzungsspektrum in der Stadt gibt (die sich u.a. am Beispiel der Folgen von Multiplex-Kinos bereits in aller Deutlichkeit offenbaren) und die Komplementarität mit anderen Zentren in den Mittelpunkt seiner Forderungen stellt, letzterer weist darauf hin, wie die Qualifizierung des Betreibermodells, die Berücksichtigung des öffentlichen Raums und die Standortfrage für Planer und Politiker vor Ort wesentliche Einflußmöglichkeiten - und eine dementsprechende Verantwortung - beinhalten. An diese Ansätze sollte im weiteren Verlauf der Fachdebatte angeknüpft werden, ohne jedoch hinter die von Sewing eingebrachten Präzisierungen hinsichtlich der Unterschiedlichkeit der Ausgangsbedingungen europäischer und US-amerikanischer Städte zurückzufallen.